INTERVIEW: „Mit einer so kolossalen Gewalt ist nicht gerechnet worden“
■ Rostocks Bürgermeister Wolfgang Zöllick (CDU) zu den rassistischen Krawallen vom Wochenende/ „Unkontrollierter Zustrom von Ausländern“
taz: Herr Zöllick, wußten Sie schon seit Mittwoch, daß es Ausschreitungen geben wird?
Wolfgang Zöllick: Das ist richtig. Es gab in zwei Rostocker Zeitungen Meldungen, die sich auf einen anonymen Anrufer bezogen, der zu einer Kundgebung und zu Gewalttaten aufgerufen hat. Wir haben daraufhin Unfall-, Rettungs- und Brandschutz informiert, außerdem die Landesregierung und die Polizei. Wir waren also darauf vorbereitet, daß es Unruhen geben wird. Es sind ja auch noch nicht registrierte Asylbewerber ins Heim gebracht worden. Mit einer so kolossalen Gewalt ist aber möglicherweise nicht gerechnet worden. Aber das ist auch nicht Aufgabe der Stadt.
Schämen Sie sich für Ihre Stadt?
Wegen dieser Sache muß man sich nicht gleich für die ganze Stadt schämen. Es ist schon ein sehr unbehagliches Gefühl zu sehen, daß von vielen sehr undifferenziert die Situation beurteilt wurde, vor allem die Gewaltaktionen. Wobei durchaus eine Trendwende zu erkennen war.
Welche Trendwende?
Man konnte bei den Leuten durchaus Unterschiede im Verhalten spürbar merken zwischen dem ersten und dem zweiten Abend. Die Stimmung tendierte am Sonntag abend zu der Auffassung: Gewalt ist nicht das, was wir wollen.
Sie sagten am Sonntag abend auf einer Pressekonferenz, die Stimmung ist „außerordentlich besorgnisserregend“. Sind es die campierenden Flüchtlinge vor der Zentralen Anlaufstelle (ZAF) oder die Gaffer und Rassisten, die Ihre Besorgnis erregten?
Besorgniserregend war für mich, als ich am Samstag abend versucht habe, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die einfach nicht ansprechbar waren...
... weil sie besoffen waren...
... solche hat es auch gegeben. Nein, ich meine die Anwohner, die sehr wohl differenziert haben. Aber es gab wirklich auch viele extreme Leute, die bedenkenlos faschistische Parolen interpretierten und beklatschten. Das ist erschütternd und hat mich tief getroffen. Es waren nicht nur 12- und 13jährige, die nach dem Führer riefen, sondern auch reifere Menschen.
Wie fühlen sich die attackierten Flüchtlinge jetzt?
Sie haben Angst. Auf jeden Fall hatten wir Vorsorge getroffen, daß sich kein Ausländer mehr auf der Wiese vor der ZAF befindet. Es ist ja auch zu keinerlei Störungen innerhalb der Häuser gekommen. Das spricht ja auch für die Polizei, die ihre Aufgabe erfüllt hat, nämlich das Haus zu schützen.
In der Nacht zum Sonntag hat die Polizei 13 Stunden gebraucht, um die Gewaltaktionen fürs erste zu beenden.
Das ist richtig. Natürlich ist das enorm lange, aber gestern habe ich die Polizeiarbeit verfolgen können: Es ist problematisch, dauernd im Hagel solcher Geschosse zu stehen und zu versuchen, das Haus zu schützen. Das Hauptproblem war, daß man die Leute sehr schlecht zu fassen kriegt, die eben mal vorspringen, etwas werfen und in der Masse wieder untertauchen. Das hat sich stündlich hochgeschaukelt, bis es dann doch scheinbar erst einmal zu Ende war, um dann gestern abend mit vermehrter Gewalt eigentlich noch weiter geführt zu werden. Wobei es gesicherte Erkenntnisse gibt, daß gestern doch mehr organisierte Gewalttäter vor Ort waren. Viele sollen von außerhalb gekommen sein.
Wie will Rostock in den nächsten Tagen die Flüchtlinge schützen?
Wir haben Flüchtlinge und Asylbewerber in kommunalen Einrichtungen; da gab es bis heute keine Unruhen. Bei der Zentralen Anlaufstelle von Mecklenburg-Vorpommern handelt es sich um eine Landeseinrichtung — hier kann nur das Innenministerium direkt wirken. Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, daß so eine Anlaufstelle inmitten eines solchen Wohngebietes sehr problematisch ist. Jetzt ist es uns aber gelungen, eine Armee-Liegenschaft zu übernehmen — leider in desolatem Zustand —, wo die ZAF ab 1. September untergebracht wird.
Auf die grüne Wiese also mit den Flüchtlingen. Ist das eine Konzession an die, die den Anblick von Ausländern nicht ertragen?
Nein, es ist keine grüne Wiese. Dort werden Sozialarbeiter die Flüchtlinge betreuen, Einkaufscenter speziell für die Bewohner sollen da auch hin.
Aber das grundsätzliche Problem — das Einreisen von Asylbewerbern —, das sind Entscheidungen, die können wir nicht in Rostock treffen.
Haben Sie ein zweites Hoyerswerda für möglich gehalten?
Es wird kein zweites Hoyerswerda geben.
Ihr Parteikollege, Innenminister Lothar Kupfer, sieht die eigentlichen Probleme, wie er sagt, in der „unkontrollierten Zuwanderung von Ausländern“. Teilen Sie diese Auffassung?
Ich teile sie zu einem großen Teil. Es ist völlig klar, daß hier unkontrolliert große Mengen an ausländischen Leuten zu uns gekommen sind. Das sind Leute mit Lebensgewohnheiten, die man auch nicht einfach umkrempeln kann, die aber auch nicht unbedingt die Zustimmung der Anwohner haben. Dieser Zustrom ist unkontrollierbar und hat überdimensionale Ausmaße angenommen. Wir haben das selbst gesehen: Da sind volle Lastwagen vorgefahren, haben die Leute abgeladen, und weg waren die wieder. Dann hat man sie noch am gleichen Tag verteilt, am nächsten Tag war eine noch größere Menge da. Hier ist organisierter Menschenhandel betrieben worden. Interview: Thorsten Schmitz
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