INTERVIEW: „Keine Oppositionspartei ist gegen Krieg“
■ Vesna Pesic, Belgrader Antikriegs-Aktivistin, zum fernen Frieden in Jugoslawien
taz: Die Belgrader Friedensbewegung gibt immer neue Rätsel auf. Mal scheint sie vom Erdboden verschluckt, mal sieht es so aus, als könne sie Milosevic stürzen.
Vesna Pesic: Seit wir uns vor einem Jahr gründeten, haben wir viele öffentlichkeitswirksame Aktionen „auf der Straße“ durchgeführt: gegen die Kriege der Bundesarmee in Slowenien und Kroatien, jetzt gegen die Massenvertreibungen in Bosnien, aber auch bei uns in Serbien. Zum Beispiel gegen die Vertreibung von Kroaten aus der Wojwodina. Aber Straßendemonstrationen allein ändern wenig. Die großen Oppositionsparteien mobilisierten Zigtausende gegen Milosevic. Sie hielten sie fünf Tage lang auf der Straße, sagten ihnen aber mit keinem Wort, was sie eigentlich dort machen sollen. Dann verlief sich der Protest. Den Oppositionsparteien ging es überhaupt nicht um Arbeit für den Frieden.
Wie populär ist gegenwärtig eine konsequente Friedenspolitik in Belgrad?
Sie ist nicht sonderlich populär. Man kann an moralische Einstellungen appellieren, aber eine stringente Antikriegspolitik findet gegenwärtig keine Massenunterstützung. Keine der Oppositionsparteien ist gegen den Krieg. Aber auch die Studenten beteiligen sich in der großen Mehrheit nicht an Antikriegsaktionen. Als wir sie aufforderten, mit uns gegen die Vertreibung der Kroaten aus der Wojwodina zu demonstrieren, lehnten sie ab. Bei Lichte betrachtet: Wir sind nur ein Zusammenschluß kleiner Arbeitsgruppen.
Belgrad war einst Zentrum kosmopolitischer Intelligenz. Warum gab es so wenig Widerstand gegen die nationalistische „Gleichschaltung“?
Verglichen mit den Städten in der Provinz ist die Stimmung in Belgrad immer noch toleranter, eine Tradition, die weit in die Geschichte des titoistischen Jugoslawien zurückreicht. Aber Belgrad ist nicht Serbien. Für die Intellektuellen hier gilt: Wenn Rechtlosigkeit belohnt wird, wächst ihre Anziehungskraft. Ich denke, daß auch die nächsten Wahlen von den nationalistischen Einpeitschern von Milosevic bis Seselj gewonnen werden.
Will und kann Panic gegen Milosevic aufbegehren?
Nach seinen Worten zu urteilen, hätte er Mitglied meiner Partei sein können. Aber er könnte sich auch als Kaufmann entpuppen, der vor einem Schaufenster sitzt, das vollkommen leer ist. Es könnte auch sein, daß er nur dazu da ist, nette Dinge zu sagen, um für Milosevic Zeit zu gewinnen. Letzte Woche hat er zwar in der Bundesversammlung wirklich gegen die Extremisten gekämpft. Aber ich glaube: Er wird Milosevics Spiel spielen.
Wie könnte das Morden in Bosnien beendet werden?
Nötig wäre der Einsatz einer sehr spezifischen Streitmacht, die es den Kampfparteien unmögich macht, weiter gegeneinander vorzugehen. Also eine „peace-keeping“-Aktion unter Kriegsbedingungen. Ich bin gegen jede undifferenzierte Intervention.
Könnte man durch gemeinsame Aktionen im kulturellen Bereich die jetzige Polarisierung zwischen den verschiedenen Machteliten und Völkern aufbrechen?
Später sicher. Jetzt haben wir schon viel geleistet, wenn wir den Widerstand gegen den Krieg in den Republiken vereinigen. Interview: Christian Semler
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