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INTERVIEW„Innenminister Kupfer hat ganz eindeutig gelogen“

■ Wolfgang Richter, Ausländerbeauftragter in Rostock, und der Vietnamese Thinh Nguyen Do über die rassistischen Krawalle

taz: Herr Richter, haben Sie seit Beginn der Krawalle schon mal ans Aufhören gedacht?

Wolfgang Richter: Nein, zu keiner Minute. Es gibt viele Leute, die mir ihre Sympathie und ihre Unterstützung bekunden. Daß seitens der Behörden wenig Unterstützung kommt, ist eine andere Geschichte. Aber das Entscheidende ist: Wenn ich bei den Vietnamesen bin, spüre ich Vertrauen.

Wo sind die Vietnamesen jetzt?

In Sicherheit. Da die Radikalen offenbar schon mal geschaut haben, wo die Vietnamesen jetzt sind, sagen wir nicht, wo sie sich aufhalten.

Was denken und fühlen die Vietnamesen?

Einen Moment mal (Hält die Hand auf den Hörer)... Neben mir sitzt einer der Vietnamesen, Thinh Nguyen Do. Der kann auf Ihre letzte Frage sicher besser antworten als ich.

Thinh Nguyen Do, können Sie Ihren vietnamesischen Freunden erklären, warum es diese rassistischen Krawalle gibt?

Thinh Nguyen Do: Das versuche ich. Aber man kann immer nur Vermutungen anstellen.

Was haben Sie gefühlt, als Sie in dem brennenden Haus eingeschlossen waren?

Das liegt mir heute noch im Magen. Angst war das nicht richtig, und verlassen haben wir uns auch nicht gefühlt, denn Herr Richter und das Fernsehteam waren ja ständig bei uns. Ich weiß nicht genau, wie ich das beschreiben soll. Das sind Massen, und die Massen sind ja die Jugendlichen, die man „unsere Zukunft“ nennt. Die wurden in so eine blöde Handlung getrieben und wissen gar nicht, wozu.

Was sollte man mit den Jugendlichen machen?

Die Politiker sollten mehr Geld in Jugend- und Sozialarbeit stecken.

Die meisten Politiker wollen aber das Grundrecht auf Asyl ändern...

Ich glaube nicht, daß man Artikel 16 ändern sollte. Man sollte höchstens die Durchführungsmethode ändern.

Wie lange leben Sie schon in Deutschland?

Seit zehn Jahren.

Haben Sie seit den Krawallen schon mal daran gedacht, Deutschland zu verlassen?

Ich bin mit einer Deutschen verheiratet, und wir überlegen jetzt, in meine Heimat zu fahren.

Denken Ihre Freunde genauso?

So deutlich haben sie das noch nicht gesagt. Eigentlich hoffen wir alle, daß wir wieder, wie früher zu DDR-Zeiten, mit der deutschen Bevölkerung zusammenleben können.

Wenn Ihre vietnamesischen Freunde bleiben wollen: Wollen sie dann in Rostock bleiben oder lieber nach Westdeutschland ziehen?

Wir wollen lieber nach Westdeutschland. Als Vietnamese wird man in Hamburg zum Beispiel nicht so schief angeguckt, nicht angepöbelt. Man fühlt sich da sicherer, freier.

Herr Richter, haben Sie Verständnis für die Rostocker Jugendlichen?

Wolfgang Richter: Diejenigen, die in das Haus eingedrungen sind und uns zweifellos erschlagen hätten, wenn sie uns erwischt hätten, waren nicht die Jugendlichen aus Rostock. Das waren welche, die Gewalt aus Prinzip verüben.

Was sollte man mit den Jugendlichen machen?

Auf jeden Fall nicht Gewalt wieder mit Gewalt... Ich weiß nicht, was man mit denen machen kann. Eigentlich habe ich über diese Frage noch nicht nachgedacht.

Hatten die Jugendlichen vielleicht Lust darauf, daß endlich mal etwas passiert in Lichtenhagen?

Die Krawalle haben verschiedene Ursachen. Arbeitslosigkeit etwa spielt in diesen Trabantenstädten eine große Rolle. Schon zu DDR- Zeiten war dort für Jugendliche nicht viel los. Was aber noch kein Grund für diese Gewalt sein kann. Nur der Unmut der Anwohner war für mich verständlich. Sie hatten das Gefühl, alleingelassen zu sein. Die Flüchtlinge haben zum Schluß unter den Balkons und in den Hauseingängen schlafen müssen. Außerdem war es ein ausgesprochen unglücklicher Standort für eine Zentrale Anlaufstelle; ich kenne kein Bundesland, wo in einem Neubaugebiet eine solche Anlaufstelle untergebracht ist. Wenn man all das zusammentut, kommt man vielleicht ein Stückchen an die Ursachen heran.

SPD-Vizechef Wolfgang Thierse ist der Meinung, die Ostdeutschen müßten erst noch lernen, mit Ausländern umzugehen. Er plädiert dafür, daß in den nächsten zwei, drei Jahren weniger Flüchtlinge nach Ostdeutschland kommen...

In Rostock sind zur Zeit weniger Ausländer als früher. Ein großer Teil der Angolaner, Vietnamesen, Kubaner, Mosambikaner und Algerier, die über Regierungsabkommen hierher gekommen sind, sind wieder nach Hause gegangen. In Rostock leben heute rund 2.000 ausländische Bürger, das ist weniger als ein Prozent der Wohnbevölkerung. Zu sagen, die Ostdeutschen seien noch nicht reif genug, zu denen könne man keinen Ausländer hinschicken, weil wir die erst noch ein bißchen erziehen müssen — das trifft es einfach nicht.

Innenminister Lothar Kupfer (CDU) hat am Freitag behauptet, es sei der Polizei zu verdanken, daß keinem Asylbewerber ein Haar gekrümmt worden sei. Die in dem brennenden Wohnhaus eingeschlossenen Vietnamesen hat er überhaupt nicht erwähnt...

Am Mittwoch abend gab es eine Live-Sendung des ZDF, in der Kupfer seine Sprüche abgelassen hat. Nach dieser Sendung habe ich ihn gefragt, wie er so reden könne. Wie er behaupten könne, die Polizei habe ihre Aufgabe, Leben zu schützen, erfüllt; jeder habe doch gewußt, daß im Nebenhaus die Vietnamesen wohnen. Daraufhin haben wir anderthalb Stunden geredet. Er sagte danach, er sei dankbar für unser Gespräch, weil er Dinge erfahren habe, die er so vorher gar nicht gewußt habe. Und dieser Mensch hat dann am Freitag im Landtag nicht ein einziges Wort über die Vietnamesen verloren! Er hat also ganz eindeutig gelogen. Interview: Thorsten Schmitz

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