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INTERVIEW»Das ist aktive Volksverdummung«

■ Der Lübecker Richter Wolfgang Neskovic zum Prozeß gegen einen Berliner Junkie und zur Entkriminalisierung von Heroin

Der Richter am Lübecker Landgericht, Wolfgang Neskovic, sorgte mit seinem aufsehenerregenden Beschluß, das Cannabisverbot verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, für eine neue Dynamik in der festgefahrenen bundesrepublikanischen Drogendebatte. Das Bundesverfassungsgericht wird demnächst darüber entscheiden.

taz: Am Berliner Landgericht stand ein Richter wieder mal vor der Alternative, einen Junkie in den Knast oder in eine Therapieeinrichtung zu schicken. Er entschied sich für ersteres. Was sagen Sie dazu?

Wolfgang Neskovic: Die Entscheidung ist — soweit man das ohne Kenntnis der Aktenlage sagen kann — in hohem Maße tragisch. Ich bin der Auffassung, daß meine KollegInnen im Betäubungsmittelstrafrecht überwiegend höchst unsensibel verfahren und sich nicht in ausreichendem Maße in die Nöte und Ängste dieser Menschen hineindenken. Auch bei der bestehenden Rechtslage könnte die Situation der Junkies vor Gericht sehr viel besser sein, wenn meine KollegInnen die gesetzlichen Möglichkeiten besser ausschöpfen würden. Allerdings wird dies durch eine viel zu geringe Anzahl von Therapieplätzen erschwert.

Im konkreten Fall hatte der Junkie einen Therapieplatz.

In meiner Strafkammer geben wir den Drogengebrauchern, soweit es möglich ist, immer eine Chance.

Der Junkie sagte in dem Prozeß, Haschisch sei für ihn die Einstiegsdroge zum Heroin gewesen. Das hat der Richter noch einmal explizit für eine im Saal zuhörende Schulklasse wiederholt. Was sagen Sie dazu?

Das ist aktive Volksverdummung. Ich erlebe es auch in meinen Prozessen sehr häufig, daß vor der Heroineinnahme Haschischkonsum gestanden hat. Aber wenn man sich als Richter der Mühe unterzieht, stärker in die Lebenssituation des Betreffenden hineinzufragen, stellt sich fast immer heraus, daß in solchen Fällen ein erheblicher Alkoholmißbrauch vorgelagert gewesen ist und sich hieran Suchtstrukturen ausprägen konnten. Alkohol und Nikotin sind klassische Einstiegsdrogen für Menschen, die ihren persönlichen Nöten mit der Einnahme von Suchtstoffen zu entfliehen suchen.

Wie lange wird der Irrsinn noch weitergehen, daß Junkies wegen Beschaffungskriminalität in den Knast müssen?

Nach den bisherigen Erfahrungen muß man wohl davon ausgehen, daß dies noch lange andauern wird. Allerdings hat sich in der Frage der Entkriminalisierung in der letzten Zeit einiges getan.

Wie stehen Sie persönlich zu der Forderung nach staatlich kontrollierter Freigabe von Heroin?

Meines Erachtens ist das Problem der Beschaffungskriminalität nur über eine staatlich kontrollierte Abgabe in den Griff zu bekommen. Ich glaube aber kaum, daß dies in absehbarer Zeit durchsetzbar ist. Eine entsprechende Hamburger Initiative hat unter dem Gesichtspunkt der Schadensbegrenzung den richtigen Schritt ins Auge gefaßt, indem sie Überlebenshilfe für diese schwerkranken Menschen zu sichern versucht. In der politischen Durchsetzung sollte aber die Entkriminalisierung des Drogengebrauchs im Vordergrund stehen. Nur so können Polizei und Justiz von der Strafverfolgung der Drogengebraucher, die sie zunehmend erheblich in Anspruch nimmt, entlastet werden und ihre Ressourcen zur Bekämpfung anderer Delikte (Umwelt- und Wirtschaftskriminalität) sinnvoller einsetzen.

Sie kommen auf Diskussionsveranstaltungen in der BRD viel herum. Bewegt sich in der Frage Entkriminalisierung von Heroin etwas?

Über die Parteigrenzen hinweg bewegt sich deutlich etwas, auch wenn es in Pressemitteilungen der Parteien so nicht zum Ausdruck kommt. Selbst hartleibige CDU-Leute haben sich mir gegenüber auf Veranstaltungen dagegen ausgesprochen, daß jemand, der krank ist, ins Gefängnis kommt. Das heißt, die Bereitschaft zur Entkriminalisierung greift um sich.

Woran scheitert eine vernünftige Drogenpolitik dann noch?

Das liegt an erheblichen Informationsdefiziten in der Politik und der Bevölkerung. Die Bereitschaft, sich sachlich mit den medizinischen und sozialwissenschaftlichen Tatsachen zu befassen, ist ausgesprochen gering.

Was bleibt demnach zu tun?

Den Politikern immer wieder deutlich machen, daß ihre sachliche Inkompetenz nicht hingenommen wird. Nach einer Studie der Universität Gießen haben 100 befragte Süchtige 172.000 Straftaten einschließlich aller Bagatelltaten in einem Jahr zugegeben. Diese dramatische Belastung der Bevölkerung mit Beschaffungskriminalität, die unmittelbare Folge der gegenwärtigen Prohibitionspolitik ist, wird eines Tages dazu führen, daß die Politiker einsichtig werden müssen. Interview: Plutonia Plarre

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