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Archiv-Artikel

IN SACHEN PARTY IST ÜBER 30 EIN SCHWIERIGES ALTER Samstags läuft das beste Fernsehprogramm

LEA STREISAND

Von wegen Ausgehen und Rumstehen. „Zuhausebleiben und Weinen“ müsste diese Kolumne heute heißen.

Ich hatte sturmfrei. Mein Freund war übers Wochenende zu seinen Eltern gefahren. Efeu schneiden, Schuppen aufräumen, solche Sachen. Also rief ich Christoph an: „Christoph“, rief ich, „ich hab sturmfrei, wir müssen unbedingt Party machen!“ Das hatte genau ein Jahr zuvor schon mal großartig funktioniert. Da hatten wir auf einer Geburtstagsparty der Freundin einer Freundin die Bar gekapert und Lebenshilfe zum Schnaps an die Gäste ausgeschenkt. Drei neue Pärchen haben sich gefunden an dem Abend, zwei haben sich getrennt. Eins davon ist heute wieder zusammen.

„Sorry, geht nicht“, sagt Christoph, „ich bin für Freitag und Samstag schon verabredet.“ – „Kann ich nicht mitkommen?“, bettele ich. (Zurückhaltung ist eine überschätzte Tugend.) – „Nee, Mäuschen“, sagt Christoph, „das eine ist ein Essen für geladene Gäste und das andere? Na ja.“ – „Ficken willste!“, rufe ich. „Statt mit mir zu feiern. Manno!“ Ich konnte es ihm nicht verübeln.

„Was ist denn mit deinen ganzen Freundinnen?“, fragte Paul, dem ich telefonisch mein Leid klagte. „Die können ja alle nicht, meine Freundinnen!“, heulte ich. Denen hatte ich bereits am Dienstag eine Rundmail geschrieben, ob sie mit mir das traditionelle Plätzchenbackbesäufnis begehen wollten, jetzt wo Paul nicht da war und niemand grummeln konnte, wenn die Hausschuhe am Küchenboden festklebten. Im Lauf der Woche kamen die Absagen.

Normalerweise hab ich echt kein Problem damit, dass ich über 30 bin. Stellt euch vor, man wäre wieder 16! Wie schrecklich! Aber in Sachen Party ist dieses Alter echt scheiße. Alle haben kleine Kinder. Oder Schichtdienst. Oder sonstige Verpflichtungen. Und alle leben in stabilen Paarbeziehungen. Wozu da noch ausgehen? Samstags läuft das beste Fernsehprogramm der Woche! Das ist nur langweilig, wenn man alleine davor sitzt.

So ging der Freitag zu Ende.

Am Samstag hatte ich eine Eingebung und rief Sara an. Sara ist die spontanste junge Mutter, die ich kenne. „Plätzchenbacken, toll!“, rief Sara. „Ich muss nur Daniel fragen, ob er die Kleine noch mal nimmt. Ich war nämlich gestern schon Party machen, eigentlich bin ich heute dran.“ Doch Daniel hatte ein Einsehen und so standen Sara und ich in der Küche und buken Honigkuchen im Akkord, während Sara mir von ihrer Nacht erzählte: „Zuerst waren wir im Auster Club in Kreuzberg. Da waren außer uns vieren aber nur drei andere und die gingen gleich rauchen, sodass wir einen ziemlich guten Betreuungsschnitt hatten – vier Gäste, zwei Barkeeper, ein DJ –, da kann man nich meckern. Dann sind wir mit zum Cake in der Oranienstraße, aber da hat uns die Musik nicht gefallen, deshalb sind wir zum Monarch weiter. Das war super! Auf dem Weg nach Hause sind wir noch mal in die Brunnen 70, ein Laden mit fünf Tanzflächen aus lauter verwinkelten Kellerräumen. Um sieben war ich zu Hause, hab die Kleine gewickelt und bin ins Bett.“

Dichter als Goethe

Ich hatte Sonntag eine Duolesung mit Thilo Bock. Leider waren nur vier Leute im Publikum, weil die Veranstaltung „Dichter als Goethe“, wo ich Gast war, sehr überstürzt ins Mastul umziehen musste. Und das hat einfach noch kein Schwein mitgekriegt. Doof! Es war nämlich sehr schön. Ich hatte Honigkuchen bei. Und zum Schluss hat Thilo eine Geschichte vorgelesen, wie er Samstagabend zu Hause in seiner Wohnung sitzt und die Partygeräusche der anderen hört, während er selbst darauf wartet, dass jemand anruft, der ihn irgendwohin einlädt. Er ist eben auch schon über 30.