IN MAKEDONIEN TRÄGT DER WESTEN EINE ERHEBLICHE MITVERANTWORTUNG: Der vermeidbare Bürgerkrieg
Ein Bürgerkrieg in Makedonien scheint nicht mehr vermeidbar. Folgerichtig nehmen in der westlichen Diskussion wieder überhebliche, teilweise offen rassistische Erklärungsmuster vom angeblich „immer schon unfriedlichen Balkan“ und von den „ethnischen Gruppen und Religionen“, „die einfach nicht zusammenleben wollen“, überhand. Das dient der Entlastung und Ablenkung von der erheblichen Mitverantwortung der Nato- und EU-Staaten für die jetzt eingetretene Entwicklung.
Die schweren Fehler und Unterlassungen der Nato-geführten Kosovo-Schutztruppe KFOR – insbesonders bei der Entwaffnung und Entmachtung der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK und der Unterbindung ihrer grenzüberschreitenden Aktivitäten – werden bei diesen Diskussionen, wenn überhaupt, nur milde kritisiert. Die Ausbildung albanischer Rebellen durch US-amerikanische und britische Militärs und Geheimdienstler bleibt zumeist ganz unerwähnt – ebenso wie die Tatsache, dass die jetzt von der UÇK in Makedonien eingesetzte Kommunikationslogistik und ein Großteil ihrer Waffen aus Nato-Quellen stammen. Und auch eine tabufreie Debatte über die Interessen der USA auf dem Balkan ist weiterhin unmöglich.
Die Fehler des Westens, die nun die Entwicklung eines Bürgerkrieges in Makedonien begünstigten, reichen weit über die Zeit seit dem Kosovokrieg zurück – bis ins Jahr 1991, als der Zerfall Jugoslawiens begann. Unter den fünf multiethnisch bewohnten Republiken waren damals die Ausgangsbedingungen für eine friedliche Transformation in Makedonien am besten. Lediglich diese ärmste Republik Exjugoslawiens und das fast völlig monoethnische, reiche Slowenien erfüllten die Voraussetzung für eine staatliche Anerkennung – so 1991 eine Kommission unter Vorsitz des obersten französischen Verfassungsrichters Robert Badinter. Schon damals waren albanische Parteien an der Regierung in Skopje beteiligt. Seit dem Badinter-Bericht wurden die Rechte für die albanische Minderheit in Makedonien schrittweise weiter verbessert. Sie sind weiterhin nicht ideal, und tatsächlich wäre die verfassungsrechtliche Anerkennung einer so starken Minderheit als Volksgruppe notwendig.
Dennoch sind die Rechte und Lebensbedingungen der AlbanerInnen in Makedonien auch heute besser als die von Minderheiten in den meisten anderen Staaten der Region. Von den sechs damaligen Republikpräsidenten dachte der bis 1998 amtierende Makedonier Kiro Gligorov am allerwenigsten in ethnischen oder nationalistischen Kategorien. Sein Blick war weit über den Tellerrand Makedoniens und sogar über das ehemalige Jugoslawien hinaus auf die Befriedung und Integration der gesamten Balkanregion gerichtet. Gligorov war klar, dass die Entschärfung der albanischen Frage hierbei die wichtigste Voraussetzung sein würde. Seine westlichen Gesprächspartner mahnte der makedonische Präsident seit Anfang der 90er-Jahre immer wieder nachdrücklich, zu dieser Entschärfung beizutragen: durch die wirtschaftliche Stabilisierung Albaniens und Makedoniens sowie durch Unterstützung des Widerstandes der Kosovoalbaner gegen die serbische Repression.
Gligorov wusste, dass eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der albanischen Minderheit in Makedonien und damit der Grad ihrer Zufriedenheit als Bürger seiner Republik wesentlich von einer Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Landes abhängig war. Doch diese Mahnungen stießen bei den westlichen Regierungen weitgehend auf taube Ohren. Jahrelang bettelten makedonische Politiker und Wirtschaftsführer vor allem in EU-Hauptstädten um Investitionen, Handelsverträge und eine Öffnung der Märkte für ihre Produkte. Vergeblich.
In ihrer Verzweiflung ließ sich die Regierung in Skopje schließlich 1997 von der Regierung in Taipeh mit einer Kapitalhilfe von zwei Milliarden Dollar zur völkerrechtlichen Anerkennung Taiwans überreden. Mit der Folge, dass China – das sich seit Beginn der innerjugoslawischen Konflikte bei allen diesbezüglichen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates der Stimme enthalten hatte – nun durch ein Veto die Verlängerung des Mandats für die Blauhelmtruppe blockierte, die seit 1993 die Nordgrenze Makedoniens zum Kosovo und zu Südserbien bewachte. Die Folgen sehen wir jetzt.
ANDREAS ZUMACH
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