IN DER GETHSEMANEKIRCHE : Staat im Gotteshaus
Auf den ersten Blick wirkt es wie vor zwanzig Jahren: Die Stargarder Straße steht unter strenger Bewachung durch die Bereitschaftspolizei, am Rand der Gethsemanekirche hat sich ein Kordon aus Mannschaftswagen gebildet. Rings um den Kirchenzaun mit seinen scharfen Eisenspitzen patrouillieren in regelmäßigen Abständen Ordnungshüter und beobachten jeden, der sich der Kirche nähert. Allein die Demonstranten von damals fehlen.
Neben der Kirche ein Zelt, grau und trüb wie das Wetter. Durch dieses finstre Tal muss jeder, der in das Gotteshaus möchte. Metalldetektoren, Taschendurchleuchtung, vielen Dank. Rein geht es durch den Seiteneingang, die Tore stehen heute nur den Ehrengästen offen. Drinnen kein Meer von brennenden Kerzen wie bei den Mahnwachen 1989. Stattdessen ist alles mit Scheinwerfen ausgeleuchtet, für die Fernsehkameras, die links und rechts im Kirchenschiff Stellung bezogen haben. Noch rasch die Ansage an die Gemeinde: beim Orgelnachspiel bitte sitzen bleiben, „sodass die Spitzen der Verfassungsorgane wieder ordnungsgemäß abreisen können“. Kurz darauf kommen Merkel und Köhler, begrüßen einander, während Kollegen aus dem Bundestag nach und nach ihre Plätze einnehmen.
Neben Prominenz und Pressevertretern haben sich noch ein paar ganz normale Kirchenmitglieder unter die Besucher verirrt, zwei Mütter mit Säuglingen nehmen vorsichtshalber in der hintersten Reihe Platz. Das noch sehr junge Volk bleibt vorerst friedlich. Doch bei den Gebetsworten Franz von Assisis, „Herr, mach mich zum Werkzeug deines Friedens“, verliert eines der Kinder plötzlich die Geduld und beginnt lauthals zu schreien, womöglich um seinen Protest zu artikulieren. Wie hatte es eine Mitarbeiterin vor Beginn des Gottesdienstes formuliert? „Ganz schön, dass das Volk auch zugelassen ist.“ TIM CASPAR BOEHME