IM WARTEZIMMER : Eene Woche keen Sex
Ich sitze im Wartezimmer des Doktor Wieskerstrauß und warte. Außer mir warten noch ein paar andere. Unter anderem ein Mann mit Glatze und großer Gürtelschnalle, neben ihm seine mopsige Frau mit üppigem Pferdeschwanz. Die beiden vertreiben sich die Zeit mit dem Durchblättern abgelaufener Magazine und kommentieren, für alle Anwesenden deutlich vernehmbar, die Figur von Lady Gaga. „Keen Wunder, dass die sich so auftakeln muss, wa. Hat ja keene Möpse. An der is ja überhaupt gar nix dran“, sagt die recht in die Breite tendierende Frau. „Arsch hat se ooch keen. Wat willste denn mit der anfangen?“, pflichtet ihr der Mann bei, bevor sie über die sekundären Geschlechtsmerkmale des nächsten Stars zu lästern beginnen. Immerhin Kriterien, nach denen beurteilt zu werden die meisten Stars sich ja auch redlich verdient haben.
Dann wird der Mann aufgerufen. Als er nach zehn Minuten ins Wartezimmer zurückkommt platzt er gleich mit dem Befund heraus: „Der Arzt hat gesagt, wir dürfen keen Sex mehr haben.“ Das sagt er zu seiner Frau, lässt aber auch alle anderen großzügig an der Neuigkeit teilhaben. Sie antwortet so laut, als müssten sich die beiden neben einem Presslufthammer verständigen: „Wie? Keen Sex?“ Der Mann sagt: „Hat der Arzt gesagt. Eene Woche lang keen Sex.“ Dabei sieht er mich grinsend an. „Nee, dit halt ich nicht aus“, sagt sie und sieht mich ebenfalls an, irgendwie anzüglich.
„Weeßte was? Dann machen wir halt bisschen langsamer. Wa, Schatz?“ Sie zwinkert mir zu. „Geht ja ooch anders, wa.“ Sie macht eine kleine Pause, während deren sie mich anguckt, als wäre ich ein bisschen plemplem, weil ich die Frage „Wie anders?“ doch jetzt mal langsam stellen müsste. Mir wird plötzlich sehr heiß, und mir fällt ein, dass ich wegen meines kleinen Gebrechens nun wirklich keinen Arzt belästigen muss.
KLAUS BITTERMANN