IM STREIT ÜBER STAMMZELLEN NEGIERT SCHAVAN DIE PRINZIPIEN DER POLITIK : Steuergeld kennt keine Moral
Die deutsche Bildungsministerin kann einem wirklich leidtun. Kaum ist Annette Schavan durch die Föderalismusreform eines Teils ihrer Aufgaben entkleidet, da droht auf dem einzig verbliebenen Feld der Forschungsförderung weiteres Ungemach – diesmal aus Brüssel. Die Europäische Union will die fromme Katholikin zwingen, deutsches Steuergeld in ausländische Stammzellenprojekte fließen zu lassen, in Vorhaben mithin, die in Deutschland aus moralischen Gründen verboten sind.
Ja und? Niemand zwingt die Ministerin, die Forschung an Stammzellen auch in Deutschland zuzulassen, niemand zwingt sie, sich persönlich daran zu beteiligen. Es liegt vielmehr im Wesen öffentlicher Haushaltsgelder, dass sich der einzelne Steuer- oder Beitragszahler auch gegen solche Verwendungen nicht wehren kann, die seinen moralischen Einstellungen zuwiderlaufen. Der überzeugte Nichtraucher muss für die Tabaksubventionen aufkommen, der Lebensschützer sozial Bedürftigen eine Abtreibung bezahlen, der Pazifist den Unterhalt der Bundeswehr mittragen. Dieses Prinzip unterscheidet staatliches Handeln gerade von privatem: Erst seit die Stromversorgung nicht mehr hoheitlich geregelt ist, können Atomkraftgegner moralisch einwandfreie Energie abonnieren. Anders als im Staatsrecht herrschen im Zivilrecht Privatautonomie und Vertragsfreiheit.
Jedes Gemeinwesen beruht darauf, dass seine Mitglieder auch scheinbar Unzumutbares tolerieren – zumindest, solange es nur um Geld geht und nicht um ihr eigenes Handeln. Eine Abkehr von dieser Maxime würde staatliches Handeln unmöglich machen. Das gilt auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens gleichermaßen, also in den Kommunen wie in den Bundesländern, im Nationalstaat genauso wie in der Europäischen Union. Wer diese Selbstverständlichkeit auf Brüsseler Ebene plötzlich negiert, torpediert die europäische Zusammenarbeit. Gerne inszeniert sich die Bundesregierung, allen voran Kanzlerin Angela Merkel, als Hüterin des europäischen Einigungsprozesses. Eine moralisch verbrämte Blockadepolitik à la Schavan macht ihn unmöglich. RALPH BOLLMANN