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Archiv-Artikel

IM IRAK WERDEN ENTFÜHRUNGEN VON AUSLÄNDERN ZUM POLITBUSINESS Das libanesische Vorbild

Die Kidnapping-Welle, die jetzt durch den Irak rollt, kommt nicht überraschend. Eher ist verwunderlich, warum es so lange gedauert hat. Besonders unter Journalisten, die im Land reisen, galt die Entführung von Ausländern als fast schon überfällig. Jedes sich langsam dem Reporter nähernde Auto sorgt für die Wiederkehr dieses Gedankens. Denn der Irak ist in weiten Teilen ein rechtsfreier Raum. Schon wenige Tage nach Kriegsende begannen die ersten Entführungen reicher Iraker. Auch deren Kinder auf dem Weg zur Schule wurden zu begehrten Opfern. Lösegeldforderungen sind eine fast sichere Methode, schnell zu Geld zu kommen. Denn sowohl die ausländischen Truppen als auch die irakische Polizei sind zu sehr mit ihrem eigenen Schutz beschäftigt, als dass sie sich um so aufwändige Fälle wie Entführungen kümmern könnten.

So war es nur eine Frage der Zeit, bis sich im Irak libanesische Verhältnisse einstellen und Entführungen nicht nur als ökonomisches, sondern auch als politisches Mittel eingesetzt werden. Zu Zeiten des libanesischen Bürgerkrieges von 1975 bis 1990 stand Kidnapping, verbunden mit Lösegeldforderungen, auf der Tagesordung. Zunächst begann die schiitische Hisbollah-Miliz in den Vorstädten Beiruts, Ausländer von der Straße weg zu entführen und manche über Jahre festzuhalten. Begonnen hat das Ganze aber nicht in den ersten Jahren des Bürgerkrieges, sondern ebenfalls in Folge einer ausländischen Intervention – nachdem israelische Truppen 1982 einmarschiert waren und später US-Kriegsschiffe ins Land feuerten, nachdem die US-Botschaft in die Luft gejagt worden war.

Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich eine vollkommen unübersichtliche Entführungsszene, in der immer wieder neue Fantasiegruppen auftauchten, deren wahre Existenz oft nicht bestätigt werden konnte. Die Geiseln waren angeblich sogar untereinander wie Spielkarten ausgetauscht worden, mit westlichen Geiseln und vor allem Amerikanern als Jokern. Im Irak mit seinen unzähligen sunnitischen Guerillagruppen und schiitischen Milizen einerseits, tausenden gut erkennbarer und frei sich bewegender ausländischer Zivilisten andererseits beginnt sich nun wohl diese Entwicklung zu wiederholen. KARIM EL-GAWHARY