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Archiv-Artikel

ICH HASSE KEINE AUTOS, ABER ICH WILL MIT MEINEM RAD NICHT AN DEN RAND GEDRÄNGT WERDEN Der gute Herr Hoppe

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Ich laufe durch die Stadt. Ich laufe eilig, ich überquere Straßen, ich drücke Ampeln, ich laufe zur Arbeit, ich laufe zum Einkaufen, ich laufe zur Verabredung. Ich bin ein Läufer. Ich laufe schneller als die Walker mit den Stöcken. Ich laufe sogar mit Stiefeln in hohen Absätzen. Ich laufe. Wenn es wärmer ist, fahre ich Rad. Mein Rad ist alt und oft kaputt. Deshalb hat es noch keiner gestohlen.

Was das Radfahren in einer Stadt wie Hamburg bedeutet, weiß jeder, der selber in einer Stadt wie Hamburg Rad fährt. Im Winter wird der Schneematsch von der Mitte der Straße auf die Radwege gedrückt, im Frühjahr bleiben Berge von Streusand da liegen und im Herbst die nassen Blätter, der Radweg ist der Abfallstreifen der Straße. Auf dem kleinen Stück Radweg zu meinem Büro parkt alle hundert Meter ein Auto. Das Auto ist der König der Stadt. Es stinkt, lärmt und ist das Stärkste auf der Straße, es kann mich versehentlich totfahren, ich kann Ameisen versehentlich tottreten, die Ameisen töten niemanden versehentlich während ihrer Fortbewegung.

Wer sich freiwillig unten bei den Läufern und Radfahrern einordnet, hat selber Schuld, wenn er versehentlich totgefahren wird. Wer seine Kinder in der großen Stadt Rad fahren lässt, handelt fahrlässig. Ich tue das. Ich bin so. Ich erziehe sie auch zum Anstehen und Rücksicht-Nehmen. Das ist alles nicht zu ihrem Vorteil, ich gebe es zu.

Aber manchmal, wenn man kurz davor ist, die Stadt, wegen ihrer Politik zu hassen, kommt ein Klaus Hoppe daher, Landschaftsplaner und Leiter der Abteilung Landschafts- und Grünflächenplanung der Behörde für Stadtentwicklung, und schlägt vor, für die Stadt ein „Grünes Netz“ anzulegen. Es sollen Achsen entstehen, auf denen Fußgänger und Radfahrer, ohne eine Straße zu überqueren, von einer Grünfläche zur nächsten kommen können. Es soll ein Netz von Rad- und Fußwegen geben, das bewachsen und autofrei ist. Dafür müsste die Stadt umgestaltet werden, dafür müssten die Bezirke das Konzept mittragen, dafür müssten verschiedene Behörden an einem Strang ziehen.

Aber bitte – wie toll wäre das denn?! Ich stelle mir vor, wie ich auf einer grasbewachsenen Überführung eine achtspurige Straße überquere, wie ich, ohne auch nur einmal an einer Ampel anhalten zu müssen, durch die ganze Stadt laufe, jogge, radle, wie ich endlich einmal im Vorteil wäre, weil ich laufe. Schneller, ungehemmter, freier. Auf Wegen unterwegs, die nur für mich da sind, den Läufer. Die Kinderwagenschieberin. Den Rollator-Rentner. Die Rollerfahrerin. Den Radfahrer. Das Kind mit dem Ranzen. Die Hunde-Ausführerin. Die alle kein Stickstoffoxyd, kein Benzol, kein Blei und kein Kohlenmonoxyd ausstoßen.

Der Sprecher des ADAC, Carsten Wilms, sagt, „Für dieses Konzept müssen andere zahlen.“ Wenn er mit „Andere“ die Autofahrer meint, dann sage ich, ja bitte. Sollen sie zahlen. Ich glaube aber nicht, dass sie das tun. Ich glaube, ich, in Form der Stadt mit ihrem Haushalt würde das zahlen, aber ich bezahle auch für die Elbphilharmonie und die Polizei, ich zahle für den Erhalt der Straße, auf der ich nicht unterwegs bin, ich zahle mit meiner Gesundheit für Stickstoffoxyd, Benzol, Blei und Kohlenmonoxyd, ich zahle für den Lärmpegel mit Konzentrationsmangel und einer kleinen Depression.

Ich hasse keine Autos, ich hasse keine Menschen, die Autos fahren, einige von meinen besten Freunden fahren Autos und manchmal steige ich bei ihnen ein und schimpfe sie nicht aus, sondern bedanke mich. Aber ich will nicht an den Rand gedrängt werden. Ich will einen Teil der Stadt zurückhaben, für die Läufer und die Radfahrer. Es wäre nur ein ganz kleiner Teil, verglichen mit dem, was dem Straßenverkehr sonst gehört. Herr Hoppe, setzen Sie sich durch! Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen