ICE-Ausfälle durch Achsenschäden: Außerplanmäßiger Halt

Die Ursachen der Achsenschäden an ICE-Zügen sind noch ungeklärt. Den Herstellern drohen Schadenersatzforderungen.

ICE mit Neigetechnik: Da stehen sie nun und können nicht anders. Bild: dpa

Die Bahn-Vorstände sollen Millionen-Bonuszahlungen bei einer erfolgreichen Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG bekommen. Nach einem Spiegel-Bericht hat der Personalausschuss des Bahn-Aufsichtsrats die Sonderzahlungen bereits im Juni verabschiedet, darüber jedoch Stillschweigen vereinbart. Selbst Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) habe davon bis vor wenigen Tagen nicht gewusst. Er sei darüber empört, dass die Bahn für ihre Manager den Geldhahn auch dann aufdrehen wolle, wenn der Börsengang nur drei Milliarden Euro einbringe. Im Mai war Tiefensee noch von bis zu acht Milliarden Euro ausgegangen. Laut Spiegel hatte Tiefensees Staatssekretär Matthias von Randow das Bonuspaket für die Regierung mit abgesegnet. Die Regierung hatte den Börsengang mit Blick auf die Finanzkrise verschoben, weil ein Verkaufserlös von 4,5 Milliarden Euro nicht gesichert schien.

Informationen zu Zugausfällen gibt es weiterhin im Internet ( www.bahn.de/aktuell ) und bei der kostenlosen Service- Hotline 08000 996633. Für die betroffenen Fahrgäste soll es zudem großzügige Kulanzregelungen geben.

Nur ein Beispiel vom gestrigen Sonntag: Der ICE, der Stuttgart um 12.04 Uhr in Richtung Zürich verlassen soll, fällt aus. Die Deutsche Bahn musste ihn streichen - die Fahrzeuge sind in Inspektion.

Für den Deutsche-Bahn-Konzern sind diese Ereignisse eine Katastrophe, denn es geht nicht nur um diesen einen Zug aus Stuttgart. Die Bahn musste am Samstag fast die gesamte Flotte ihrer ICE-Züge mit Neigetechnik - 67 ICE-T-Züge - aus dem Verkehr ziehen, um die Achsen überprüfen zu lassen.

Die genauen Hintergründe dieser drastischen Reaktion blieben am Wochenende jedoch unklar. Es ist erst zwei Wochen her, dass bei verschärften Kontrollen ein "Anriss von zwei Millimeter Tiefe" in einer Welle eines ICE-T festgestellt worden war. Hintergrund der Kontrollen war der Achsbruch eines ICE-3 im Juli in Köln. Zwischenzeitlich waren die ICE-T-Fahrzeuge jedoch wieder überwiegend im Dienst, ehe sie am Wochenende abrupt erneut aus dem Verkehr gezogen wurden. "Nicht belastbare Angaben" des ICE-Herstellerkonsortiums nannte die Bahn am Wochenende nebulös als Ursache.

Die Entscheidung folgte einer Krisensitzung am vergangenen Freitag im Berliner Bahn-Tower: Bahn-Chef Hartmut Mehdorn hatte von den Fahrzeugbauern - einem Konsortium der Firmen Siemens, Bombardier und Alstom - verbindliche Aussagen über die Haltbarkeit und die Wartungsintervalle der ICE-Achsen gefordert. Die Antworten der Unternehmen waren ihm jedoch zu dürftig, worauf er den Zugbauern "Inkompetenz" vorwarf.

Denn inzwischen stehen verschiedenste Zahlen im Raum. Mehdorn spricht von einstigen Empfehlungen der Hersteller, nach denen die großen Inspektionen der ICE-Züge erst nach jeweils 480.000 Kilometern nötig seien. Die Industrie jedoch spricht von kürzeren Intervallen und hält eine Kontrolle von Hochgeschwindigkeitszügen mit Ultraschalluntersuchung nach bereits 200.000 bis 300.000 Kilometern für sinnvoll.

In Zukunft könnten die Intervalle auf Druck des Eisenbahnbundesamtes noch erheblich kürzer werden. Mehdorn befürchtet bereits "die Reduzierung der Inspektionsintervalle auf wahrscheinlich rund 45.000 Kilometer" - was die gesamte Einsatzplanung der Flotte dauerhaft beeinträchtigen würde.

Der Bahn-Chef ist zudem erbost darüber, dass die Hersteller "vier bis sechs Wochen" brauchten, um verlässliche Angaben über die Haltbarkeit der Bauteile zu machen. Es dränge sich die Frage auf, "nach welchen Kriterien sie diese Züge für uns entwickelt und geliefert haben", schreibt Mehdorn laut einem Bericht des Spiegels an den für die Bahntechnik zuständigen Siemens-Zentralvorstand Heinrich Hiesinger. Er droht nun den Herstellern, er werde Schadenersatzforderungen gegen die Industrie prüfen, denn die Deutsche Bahn sei "auf absolut verlässliche Garantien angewiesen".

Die Hersteller halten dem entgegen, dass das Untersuchungsergebnis des Eisenbahnbundesamtes zu dem Achsbruch von Köln noch nicht vorliegt. Und bis zum Abschluss der Untersuchungen sei es sinnvoll, dass vorbeugend Prüfintervalle verkürzt würden. Die Hersteller weisen zugleich darauf hin, dass sie dem Bundesamt zwar ihr Know-how für die technische Analyse des Schadens zur Verfügung gestellt hätten, am Untersuchungsprozess selbst aber nicht beteiligt seien.

Nachdem die Deutsche Bahn auf ihrer Neubaustrecke Frankfurt-Köln zuletzt häufig nur mit einem Zugteil statt mit zweien verkehrte, weil der ICE-3 ebenfalls verstärkt in den Wartungshallen stehen muss, bricht nun mit dem Neigezug ein weiteres Standbein des Fernverkehrs weg. Dass bei der Bahn wie bei den Fahrzeugbauern die Nerven blank liegen, kann nicht überraschen.

Damit erlebt ein Projekt, das Mitte der Neunzigerjahre vielversprechend begann, gerade seine größte Krise. Die Bahn hatte damals den Bau von Neigezügen für den Fernverkehr ausgeschrieben und schließlich einem Konsortium von Bombardier Transportation, Deutscher Waggonbau (DWA), Duewag, Fiat Ferroviaria und Siemens den Auftrag erteilt. Nach Firmenübernahmen sind davon heute die Namen Siemens, Bombardier und Alstom übrig geblieben.

Der ICE-T wurde entwickelt, um auf kurvenreichen Strecken die Fahrzeiten zu verkürzen. Denn mithilfe der Neigetechnik, die sich im italienischen Pendolino bewährt hat, können kurvige Strecken um bis zu 30 Prozent schneller befahren werden als mit herkömmlichen Zügen. Die maximale Neigung des Wagenkastens liegt bei 8 Grad, die Spitzengeschwindigkeit des ICE-T bei 230 Kilometern pro Stunde.

Und was bedeuten die Zusatzkontrollen nun für die Bahnkunden? Verspätungen und Zugausfälle wird es auch diese Woche im Fernverkehr in beträchtlichem Umfang geben, noch bis mindestens Freitag. Doch niemand brauche seine Bahnreise wegen Sicherheitsbedenken abzusagen, erklären Bahnexperten. "Es gibt keinen Grund, aus Angst vor Unfällen auf das gefährlichere Auto umzusteigen. Die Bahnen sind das sicherste Verkehrsmittel", sagt Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, eines Bündnisses zur Förderung des umweltfreundlichen und sicheren Schienenverkehrs.

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