piwik no script img

Hut ab vor der Staatsgewalt

■ FDP–Sonderparteitag berät über innere Sicherheit und Kleiderordnung bei künftigen Demonstrationen

Heute beraten die Freien Demokraten auf ihrem Sonderparteitag darüber, ob die Vermummung bei Demonstrationen künftig unter Strafe steht. Der Streit um freie Verkleidungen der Bürger hat eine jahrhundertelange Tradition. Heute dürfte ein anderer Streit in den Vordergrund rücken: Was ist überhaupt eine Vermummung? Vermummung oder nicht Vermummung? Dies ist, vorausgesetzt, das „strafbewehrte Vermummungsverbot“ wird Gesetz, fortan die Frage für einen jeden pflichtbewußten Polizeibeamten, wenn er einem Demonstranten gegenübersteht, der nicht alle seine Identifikationsmerkmale nach außen kehrt: Ohrläppchen, Nasenspitze oder auch die Augen. Der Wortlaut des Gesetzestextes, der bislang eine Ordnungswidrigkeit umschreibt und künftig einen Straftatbestand: „Wer an einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder an einem Aufzug in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilnimmt, handelt ordnungswidrig.“ Angepeilter künftiger Schluß: „Handelt strafbar“ - damit wäre eine Verfolgung durch die Ordnungsbehörden zwingend vorgeschrieben. Der entscheidende - und wunde - Punkt: „...den Umständen nach darauf gerichtet ist...“. Wer darf unter welchen Umständen eine Sonnenbrille tragen, die den Augenabstand verhüllt - dessen Abdeckung bei veröffentlichten Fotos schließlich die Identifizierung verhindern soll? Eine Luxzahl für die Mindest–Sonneneinstrahlung müßte gefunden werden. Ab wieviel Grad Wärme sind Schal und Mütze verboten, oder könnte hier ein ärztliches Attest über eine Erkältung aushelfen (siehe Interview)? Muß bei Trauerschleiern künftig der Totenschein des nahen Verwandten mitgeführt werden und welcher Verwandtschafts– beziehungsweise Verschwägerungsgrad des Verschiedenen würde hier höchstens noch akzeptiert? Die Fläche von wievielen Quadratzentimetern muß die offene Gesichtswunde einnehmen, um ein wie großes Pflaster zu rechtfertigen? Oder gilt das Vermummungsverbot nicht eigentlich der Erleichterung der Identifizierung eines Straftäters, sondern vielmehr der „Uniform“ der Autonomen, ihrem Identifikationsmerkmal, der schwarzen Gesichtsmaske? Fragen über Fragen. Die Szene - und noch mehr die Polizeibeamten - darf also gespannt sein auf die Kommentierung des Gesetzes durch gelehrte Juristen in den dicken Büchern, die der Rechtssprechung stets den nötigen Leitfaden liefern, der bislang noch unentwirrbar verknotet ist. Ulli Kunkel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen