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Archiv-Artikel

Hungerstreik für die Fotos vom 17. Juni Herr Holzapfel lobt Gandhi, predigt Vaterlandsliebe – und will mit Neonazis nichts zu tun haben

Was treibt einen 61-jährigen Pensionär, sich spontan auf eine große Glasfläche zu legen und einen Hungerstreik zu beginnen, den er unbefristet nennt? Wo endet das rechts-konservative Spektrum und wo beginnt das braune? Wo werden Patriotismus und Kommunistenhass reaktionär – und kann man zugleich Gandhi-Fan und rechter CSUler sein?

Diese Fragen stellen sich nach einem Besuch bei Carl-Wolfgang Holzapfel, der seit Montag vor dem Bundesfinanzministerium an der Wilhelmstraße im Hungerstreik ist. Der ehemalige Bankangestellte aus Weil in Bayern will damit dagegen demonstrieren, dass seit Anfang der Woche überdimensionale Fototafeln an den grauen Wänden von Eichels Ministerium per Hebebühne entfernt wurden. Sie zeigten seit dem 50. Jahrestag des Volksaufstands von 1953 Bilder von den rebellierenden Arbeiterinnen und Arbeitern.

Die „Arbeitsgemeinschaft 13. August“, die auch das Mauermuseum „Haus am Checkpoint Charlie“ führt, hatte die Fotos zunächst im Auftrag des Ministeriums installiert, weigerte sich dann aber, sie wieder abzuhängen. Auch Gerichtsbeschlüsse durch mehrere Instanzen konnten die Männer und Frauen um Alexandra Hildebrandt, Leiterin des Mauermuseums, nicht dazu zwingen, die Tafeln zu entfernen. Als dann das Haus Eichel selbst zur Tat schritt, kam Holzapfel spontan auf die Idee, dagegen mit einem Hungerstreik zu protestieren. Er legte sich ausgerechnet auf das schon bestehende Denkmal für den Volksaufstand vor dem Ministerium. Dieses Denkmal wird von ihm und den Checkpoint-Charlie-Leuten als unzureichend betrachtet, unter anderem, weil es von der Straße her kaum als ein solches zu erkennen ist. Stattdessen schauen vorbeifahrende Autofahrer und Radler auf der Leipziger Straße nur auf kitschige DDR-Propaganda-Bilder aus den 50er-Jahren.

„Freiheit statt Sozialismus“, hat Holzapfel auf Bettlaken gemalt und es auf das schon existierende Denkmal gelegt – er ist ein alter Hase im Geschäft politischer Manifestationen. Schon sechs Hungerstreiks hat der weißbärtige Mann im legeren Jackett schon hinter sich gebracht. Meist waren es Protestaktionen in den 60er-Jahren gegen den Mauerbau. Im Oktober 1965 ging er gar als Protest gegen die deutsche Teilung zu Fuß über die Grenze, wurde von der DDR-Volkspolizei geschnappt und später als „Provokateur“ zu acht Jahren Haft verurteilt. Erst nach 13 Monaten Knast wurde von der Bundesrepublik freigekauft.

Dass man nach solchen Erfahrungen ein Kommunistenfresser werden kann, ist nicht ganz abwegig – aber entschuldigt das den Eintritt in die schwarz-braune Partei der „Republikaner“ (REP), für die Holzapfel im Kreistag Fürstenfeldbruck als Fraktionschef fungierte? Nach 13 Monaten trat er aus Protest gegen „neonazistische Sprüche“ des früheren REP-Vorsitzenden Franz Schönhuber aus, betont er.

Auch für seine Mitgliedschaft im erzreaktionären „Witikobund“ hat Holzapfel eine Entschuldigung: Die äußerst rechte sudetendeutsche Landsmannschaft hat seit ihrer Gründung eine gefährliche Nähe zu (Neo-)Nazis – aber davon wisse er nichts, hebt er hervor. Zudem sei er seit Jahren nicht mehr auf deren Versammlungen gewesen. Als Vorsitzender der „Vereinigung 17. Juni 1953 e. V.“ hat Holzapfel der neurechten Jungen Freiheit ein Interview gegeben – aber er rede eben mit jedem, entschuldigt er sich.

Unproblematisch findet er auch die Tatsache, dass er im norddeutschen Achim bei Verden auf Einladung einer „unabhängigen Bürgergemeinschaft“ unter anderem vor glatzköpfigen Kameraden und einem DVU-Funktionär einen Vortrag hielt – in einer Vortragsreihe zudem, die sich auch mit Namen von rechtsradikalen und neonazistischen Rednern schmückte.

Nein, betont Holzapfel, er sei ein Demokrat – und Gandhi sei sowieso sein großes Vorbild. Der Hungerstreiker hofft nun auf ein Signal der CDU-Parteispitze, dass man die Fototafeln nach einem möglichen Regierungswechsel im Herbst wieder anbringen werde. Dann breche er den Hungerstreik ab. Herr Holzapfel meint es ernst. PHILIPP GESSLER