: Hunger nach Leben
Der Traum der Einbeziehung: Nicht in seiner Nische kruschteln, sondern viele etwas angehen, das zeigt sich beim Rundgang, zu dem die Universität der Künste einlädt, als Motivation der Studenten
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Wie stellen sich Kunststudenten den idealen Kunstbenutzer vor? Mit dicker Brieftasche und repräsentativen Büros, deren Wände möglichst breite Hängefläche bieten? Nein, so eine Figur ist nicht zu sehen auf dem Rundgang der Universität der Künste, der alljährlichen Präsentation der Studenten. Stattdessen hat Ulf Aminde, der mit den Meisterschülern im Foyer in der Hardenbergstraße ausstellt, drei Männer „ohne festen Wohnsitz“ als Besucher der MoMA-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie porträtiert.
Ein Foto zeigt die drei auf der Treppe des Museums, hinter sich die Warteschlange und noch nimmt man ihnen den Wunsch nicht ab, sich da einzureihen. Über Kopfhörer aber kann man verfolgen, wie sie im Museum vor den Bildern stehen und schwärmen, „geil“, „aber hallo“, und die Emphase, mit der sie selbst Floskel wie „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ hervorbringen, gleicht ihre sprachliche Bescheidenheit aus. Man hört ihren Stimmen die Lust an, gerade als Außenseiter der Gesellschaft die wahrsten Gefühle für die Kunst zu entwickeln. Ob das nun inszeniert oder dokumentiert ist, spielt letztlich keine Rolle: Entscheidend ist das Verlangen, aus der Kunst niemanden auszuschließen, sie nicht zum Merkmal sozialer Distinktionen werden zu lassen, sondern zur Basis der Einbeziehung. Ein romantischer Traum, gewiss; weil Ulf Aminde das wohl ahnt, hat er die Fläche neben dem dunklen Foto der drei in Pink getaucht.
Die Ausstellung der Meisterschüler ist Teil des Rundgangs, zu dem die über 4.000 Studenten der UdK drei Tage lang ihre Arbeitsräume öffnen. Alle Fakultäten, über sieben Standorte in der Stadt verstreut, beteiligen sich. Letztes Jahr kamen 12.000 Besucher. Rundgänge bringen ungewöhnliche Kontakte: Ein Mitbewohner des Hauses, in dem ich wohne, hat dort einmal einen Studenten engagiert, unsere schöne Fassade zu zeichnen.
In der Straße des 17. Juni 118 werden die Designer der Fakultät Gestaltung ausgebildet. Hier kann man von den Studienanfängern, die ein Resümee aus ihren Erfahrungen im ersten Studienjahr ziehen mussten, hochwandern bis zu den Abschlussprojekten des Hauptstudiums. Was einem dabei an Einfallsreichtum begegnet, verblüfft, und man fragt sich bloß, warum die Welt draußen sich so resistent gegen Verbesserungsvorschläge verhält.
Die Projektgruppe von Professor Axel Kufus, Studienrichtung Produktdesign, hat ein Semester lang über die Neueinrichtung ihres Arbeitsraumes nachgedacht. „Anfangs wollte jeder so seine Ecke abteilen“, erzählt Wilm Fuchs, Assistent, „dann kamen die Lösungen, die den Raum möglichst offen lassen.“ Henrik Drecker zeigt uns seine Teeküche, ein rigides Instrument der Erziehung zur Ordnung. Kochplatte, Espressokanne, Teebeutel und selbst Löffel und Becher klemmen in Wandhaltern, die nach Gebrauch gleich zum Abspülen nötigen, weil es keine Abstellflächen gibt. In eine dicke Plastikfolie, die davor als Raumteiler hängt, sind Kreuze und Pfeile eingeschnitten und Hari Markus führt uns vor, wie man da seine Jacke durchschieben und aufhängen kann.
Der Tugend, die Ressourcen an Raum und Material zu schonen, ist auch der nächste Raum gewidmet, „Hip Help Hop“ überschrieben. Nachdenken über Einwegprodukte war die Aufgabe, für die sich die Studenten auf verschiedene Forschungswege durch den Alltag begeben haben. Alexander Augsten zum Beispiel hat ein Knopfrettungssystem entworfen, um Ausreißer zu sichern und mit Knebel- und Steckverschlüssen ohne Nadel und Faden auszukommen.
Handlungsfelder zu finden: Man merkt in den Präsentationen, wie sehr die Designstudenten nach inhaltlichen Reibungsflächen suchen. Stolz ist der Fachbereich zum Beispiel auf „o-tilities“, eine Kampagne zur Aidsprävention, an der Studenten seit 2002 gearbeitet haben. Wie man Kondome gesellschaftsfähiger macht und aus der Schmuddelecke der Klos holt, indem man zum Beispiel schönere Spenderautomaten für Theken entwirft, wie man in afrikanischen Ländern für Safer Sex wirbt, das waren Fragen, der sie in Gesprächen mit Schulklassen ebenso wie mit Politikern vor Ort nachgingen. Sie wurden nach Ghana und die Karibik eingeladen und haben Firmen beraten. Produktgestaltung wird so zu einem Instrument, soziale und ökonomische Spielräume zu erforschen.
In der Fakultät bildende Kunst sind die Klassenräume einen Abend vor dem Rundgang noch heftig in der Mache. „Wir haben gleich noch eine Klassenbesprechung, und vielleicht ändert sich dann wieder alles“, meint Anna Hand, die bei Katharina Sieverding studiert – die Hängung wird zu einer Nagelprobe für die Demokratiefähigkeit der Klasse. Anna Hand verfolgt schon seit zwei Jahren das Thema Wettkampf und fotografiert die Strong Men, ihre bis zum äußersten angespannten Gesichter, wenn sie mit Körperkräften einen Lkw zu ziehen versuchen. Allegorie auf den Konkurrenzkampf in der Kunst? Anna Hand lächelt höflich, so symbolisch meint sie es nicht.
In der Klasse von Wolfgang Petrick, der den Ruf Berlins als Stadt der sozialkritischen Maler seit den Siebzigerjahren mitgeprägt hat, ist die Musik laut und „das Ende nah“. „Das Thema Apokalypse“, sagt Dennis Rudolph, „hat uns alle interessiert.“ Ich starre fasziniert auf das T-Shirt von Dennis, bedruckt mit einem Cover der von ihm herausgegeben Zeitung Der Leuchtturm, die stilistisch irgendwo zwischen Lanzerheften und Wachturm die Lust am Untergang nahe legt. Doch wie Dennis dann über sein Programm des „ästhetischen Fundamentalismus“ und der „Kunstreligionen“ redet, ist wiederum beruhigend: Es scheint sich doch mehr um eine ironische Trash-Variante der Suche nach Ritualen und überhöhender Sinnstiftung zu handeln.
Hammerschläge überlagern seine Worte. Biljana Milkov schlägt die Nägel für eine Serie kleiner Bilder ein, postkartengroß, die ihrer Erinnerung an den Bombenangriff auf Belgrad gelten. „Das war wie eine Party“ sagt Dennis, der sie damals besucht hat, und ich denke, ich höre schlecht. „Doch“, bestätigt Biljana Milkov, „ein mindest so großer Aufwand an Emotionen.“ Dass dieser kühle Zynismus aber nur eine Fassade, vielleicht des Schutzes ist, sieht man in ihren Collagen, die Distanz zum aktuellen Schrecken über Motive der Kunstgeschichte suchen.
In der Klasse Hödicke ist ein zweiter Boden eingezogen, Stauraum für große Formate. Es riecht nach Farbe, und dieses Dampfende der Bilder verändert den Blick, als ob der Rausch des Schaffens die Luft schwängern könnte und Fragen nach dem Warum und Wohin der Kunst erst einmal darin verzischen. Deshalb ist es gut, dass Jan Marian Muche gleich am Eingang ein Bild wie ein Warnschild postiert hat: „Das Recht auf Faulheit“ leuchtet in roten Buchstaben. Die Produktion anhalten und sehen, was man da eigentlich treibt, schon dafür ist der Rundgang gut.
Rundgang. 16.–18. Juli, ab 11 Uhr, in der Hardenbergstr. 33, Straße des 17. Juni 118, Grunewaldstr. 2–5, und mehr. Programm mit allen Adressen vor Ort