piwik no script img

■ Hundert Tage und eine ChanceKeine Vorverurteilung

Wer heutzutage Finanzen verwaltet, setzt sich den Angriffen, ja dem Zorn vieler Betroffener aus. Als die SPD der CDU das Finanzressort abnahm, wußte sie um das Wagnis, das sie einging. Daß die Wahl auf die relativ unbekannte 41jährige Annette Fugmann-Heesing fiel, mag dem Umstand geschuldet sein, daß Experten auf diesem Gebiet hierzulande rar gesät sind. Nun bringt die Sozialdemokratin einen Makel mit, der bei näherer Betrachtung gar keiner ist: Vor zwei Jahren trat sie wegen der Lottoaffäre zurück. Sie verhielt sich, wie man es sich von manchem Skandalsenator in Berlin erhofft hätte: Obwohl sie persönlich keine Schuld traf, übernahm sie die Verantwortung für das Handeln ihrer Mitarbeiter.

Kaum in Berlin, wird die neue Senatorin unter Beschuß genommen. Zunächst als „Skandalministerin“ abgeurteilt, wird ihr nur wenige Tage nach der Vereidigung das Ansteigen der hessischen Nettoneuverschuldung vorgehalten. Der Tonfall, mit dem der Neuling begrüßt wird, hat in Berlin Tradition: erst mal meckern.

Noch bevor Fugmann-Heesing richtig Fuß gefaßt hat, soll ihr schon der Boden entzogen werden. Klammheimlich feixt mancher, ob sie es wohl packen wird. Die CDU ist natürlich erleichtert, ihren früheren Amtsinhaber Pieroth aus der Schußlinie des Finanzressorts gebracht zu haben. Jetzt werden die Kanonen neu ausgerichtet. Der Neuen, so kündigt die CDU an, will man ihr Aufgabengebiet begrenzen. Was das alles zeigt? Das Finanzressort ist, noch bevor es unter der neuen Amtsinhaberin richtig zu arbeiten begonnen hat, zum Spielball der Taktiker geworden. Früher gab es eine respektable Regel: Die ersten einhundert Tage gilt es abzuwarten. Sie gilt, im übrigen, gegenüber allen Neulingen. Severin Weiland

siehe Seite 22

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen