House-Sound von Caribou: Liebe und Mathematik
Liquider Elektronik-Sound für die ganz große Tanzfläche: Der kanadische Produzent Dan Snaith alias Caribou und sein neues Album „Our Love“.
Und plötzlich standen Abend für Abend Tausende vor Dan Snaith alias Caribou, warfen ihre Hände in die Luft und tanzten. Das, so erzählt Snaith im Interview zu seinem neuen Album „Our Love“, sei für ihn eine der eindrücklichsten Erfahrungen gewesen: Lange Zeit waren nur Nerds, „Leute, die – wie ich – ein obsessives Verhältnis zu Musik haben“, nach Auftritten zu ihm gekommen, plötzlich fanden ihn 17-jährige Ibiza-Raver toll.
Sein Label feiert „Our Love“ als „überschwängliches Soulalbum“. Was zunächst ins Ohr sticht, sind Samples von Clubmusik der neunziger Jahre, von der Snaith sich inspirieren ließ. Darüber hinaus steckt im aktuellen Caribou-Sound wieder ein kleinteilig zusammengesetzter Kessel Buntes.
Diesmal dabei: Electronica, HipHop und House. Snaith hat schon unterschiedlichste Felder beackert: Auf „The Milk of Human Kindness“ (2005) versuchte er sich an zarter Folktronica, „Andorra“ war dann durchs Laptop gedrehte Hippie-Musik. Der versponnene Dance-Pop von „Swim“ (2010) bescherte ihm den Durchbruch. Was die Musik aller Caribou-Alben verband, war ihre charmante psychedelische Verspultheit.
Tatsächlich stiftet auf „Our Love“ eine größere Unmittelbarkeit den Soul, eine direktere Ansprache seines Publikums. Schon auf dem tollen Vorgänger „Swim“ schaffte es Snaith, dass seine Musik auf unterschiedlichen Ebenen funktioniert: Man konnte sie nebenbei hören, sich aber ebenso gut in ihren bizarren Details verlieren. Snaith bezeichnet „Swim“ als „Kopfhörermusik“. Schließlich steckten die Songs voller Sounds, „die sich wie Flüssigkeit bewegen“, vom linken zum rechten Ohr und zurück, geschmeidig wie das im Titel assoziierte Wasser – aber seltsam genug, um dank kleiner Widerhaken im Ohr zu bleiben.
Caribou: „Our Love“ (City Slang/Universal Music)
Live: 14. 10., Berghain, Berlin; 15. 10., Conne Island, Leipzig; 19. 10., Muffathalle, München
Hände in die Luft
Und wie schon erwähnt: Dass seine Musik etwas Verkopftes hatte, hinderte niemanden daran, zu „Sun“ und „Odessa“, den Hits des Albums, die Hände in die Luft zu werfen. Als Inspiration für „Our Love“ nennt er Stevie Wonders klassische Alben, produktionstechnisch ließ er sich von modernem R’n’B beeinflussen.
Dass Snaith offensiver auf den Dancefloor lockt und seine Verspieltheiten eine Ebene tiefer verbuddelt hat, ist etwas verschenkt, denn der in Kanada aufgewachsene, in London lebende Mathematiker versteht es, seine Frickeleien in den Dienst einer guten Idee zu stellen. Er ist kein Guck-mal-was-ich-wieder-Obskures-ausgegraben-habe-Streber.
Zu der neuen Unmittelbarkeit passt, dass Snaith die Liebe als Thema entdeckt hat. Nicht nur eine romantische Vorstellung davon, sondern verschiedene Facetten: Liebe zu Freunden, zur Familie und zum euphorisierten Dancefloor, der sich von ihm abholen lässt.
Und nicht zuletzt zur Musik. „Man weiß nie, wann man zum letzten Mal ein Album macht, mit dem man retrospektiv einverstanden ist“, sagt Snaith.
Mittlerweile ist er Vater einer dreijährigen Tochter, was sein Sozialleben gehörig umgekrempelt hat. So stubenhockerisch wie früher kann er nicht mehr zu Werke gehen. In einer sehenswerten BBC-Minidoku erzählt Snaith, wie er tagelang im Studio bastelt. Ganze 670 Tracks hatte er für „Andorra“ angefangen, von denen 9 am Ende den Weg auf das Album gefunden haben.
Häppchenweises Vorgehen
Diesmal ging er häppchenweise vor. Nicht nur das Sozialleben, auch endlose Tourneen – nach ihrer Konzertreise zu „Swim“ spielten er und seine Liveband 2012 noch als Support für Radiohead – führte dazu, dass er nur mal hier, mal da eine Stunde zum Soundbasteln kam.
Im Sommer 2013 machte er sich daran, etwas Kohärentes daraus zu kreieren. Auch Snaiths DJ-Engagements hinterließen ihre Spuren auf dem neuen Album. Bis zu acht Stunden steht er bisweilen am Plattenteller und weil einem bei einem solchen Marathon auch mal das Material ausgehen kann, produzierte er rohe, ideenreiche Tracks, die er unter dem Alias Daphni veröffentlichte.
Tatsächlich enthält „Our Love“ einige Dancefloor-Knaller: der Titelsong etwa und die großartige Vorab-Single „Can’t Do Without You“, ein Gefühlsausbruch, an einer einprägsamen Melodie aufgehängt, die den Hörern nebenbei richtig das Gehirn durchwalkt. In Snaiths Worten baut dieser Song eine Brücke zwischen der Atmosphäre von „Swim“ und dem aktuellen Album. Er weckt aber auch Erwartungen, die die restlichen Songs nicht ganz einlösen können.
Und doch ist „Our Love“ ein gutes Album. Wie man letztlich die Frage beantwortet, ob es schlichter klingt als das großartige Vorgängerwerk oder ob die Versponnenheit nur subtiler daherkommt, hängt wohl tatsächlich davon ab, ob man die Songs über Kopfhörer hört oder nicht. Mit klingen sie jedenfalls deutlich interessanter. Aus dieser Nummer kommt Snaith offensichtlich nicht mehr raus – da kann ihn der Dancefloor noch so feiern. Er guckt immer noch wie durchs Milchglas auf die Feiernden. Nun ja, etwas Distanz tut jeder Liebe gut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!