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■ Honecker hat HeimwehErich kann's nicht lassen

Der Promi-Rentner Erich Honecker hat in Chile nun wirklich alles, was er zum Restleben braucht: Seine resolute Frau Margot, die neugierige Reporter mit dem Gartenschlauch abspritzt („Sie arbeitet viel“), seine Tochter Sonja („Sie ist eine gute Einkäuferin“), Wassermelonen („Meine Lieblingsspeise“) und Schonkaffee. Auf seinen Spaziergängen besucht er aus alter Gewohnheit die Arbeiter der benachbarten Baustelle und läßt sich respektvoll „Don Erik“ nennen. Und doch, das Gefühl der totalen Zufriedenheit will sich einfach nicht einstellen. Denn Erich ist rückfällig geworden.

„Ich kann's nicht lassen, an Deutschland zu denken“, offenbarte er gegenüber der Super-Illu zum ersten Mal seine innersten Gefühle. Eine Sucht, die in der Tat den Ruhestand gründlich versauen kann. Zu allem Unglück hat's Honecker besonders hart erwischt. „Ich denke den ganzen Tag. Über die Welt. Über Deutschland. Über die Vergangenheit. Was wir falsch gemacht haben.“ Manchmal, wenn der Trieb allzu stark ist, greift er zum Spiegel und der FR, und täglich erwischt ihn Margot, wenn er die Deutsche Welle reindreht. Kaum hat er seine Dosis drin, wird er wild: „Alles Lügen. Die westdeutsche Presse lügt, daß sich die Balken biegen.“ Alsdann kauert er sich nieder zum Zwecke des Orakelns. Die Zukunft Deutschlands? „Schwarz, schwarz schwarz. Zu viele Wolken.“ Die Zukunft Kubas? „Castro wird es schaffen.“ Kohls Zukunft? „Der ist nicht mein Freund.“ Seine Zukunft? „Der Tod schreckt mich nicht. Aber ich habe vorher noch viel zu tun.“ Denn Erich, der alte Kämpfer, will gegen die Lüge anschreiben, in seinen Memoiren, die er der Jugend Deutschlands widmen will. Abrechnen wird er mit Gorbatschow und Egon Krenz: „Die haben das sozialistische Lager verraten. Doch ein bißchen Genugtuung kommt durch, wenn er zischt: „Gorbatschow ist kaputt“. Aber er, der Greis, er lebt, hat einen Garten samt Schlauch, ißt Wassermelonen, trinkt Schonkaffee. Und manchmal, wenn er wieder mal an Deutschland denkt, sieht man ihn auf der Terasse sitzen und hämisch ins sich hineinkichern. Dann ist er, mit den Gedanken in Deutschland, für wenige Minuten unbändig glücklich in Chile. Denn: „Ich bin froh, daß ich all diese Probleme nicht lösen muß.“ Und offenbar will er es längst nicht mehr. Don Erik frönt seiner Deutschlandsucht nur aus sicherer Entfernung. Denn auf die Frage, ob er denn heimkehren würde, wenn er frei wäre, antwortet er kurz und knapp: „Hhhhmmm. Hhhmmm. Weiß nicht.“ Michaela Schießl

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