Holzkunst: Die Axt im Atelier ersetzt den Malersmann
Die "gehackten Bilder" von Alfred Haberpointner bewegen sich derart nah an der Grenze zwischen Malerei und Plastik, dass man von einer zweieinhalbsten Dimension sprechen kann.
BREMEN taz | Was kullert da über den Boden? Köpfe, halbierte Kartoffeln, Holzobjekte. Alfred Haberpointners Bildhauereien, jetzt im Bremer Gerhard Marcks-Haus unter dem Titel "Der Haken der Bildhauerei" zu sehen, könnten ebenso einer Küche wie einer Richtstatt entstammen. Die großen hellen Pappelklötze sind mit einem eigentümlichen Muster überzogen: schmalen Flachkratern, die Haberpointner mit der stumpfen Seite seiner Axt hinein gehämmert hat. Die Kartoffeln und Köpfe entstammen ein und dem selben Baumstamm. Auch insofern sind sie "eine geschlagene Gruppe", wie Haberpointner sie nennt.
Bildhauer haben unter den bildenden Künstlern ohnehin den schweißtreibendsten Job. Alfred Haberpointner aber mutet seinen Muskeln besonders viel zu: Sieben bis acht Stunden täglich schlägt er auf seine Objekte ein, eigens für das Marcks-Haus hat er kürzlich drei große Wandbilder gehackt. Die legen nahe, dass er ein sehr disziplinierter Arbeiter sein muss: Mit unzähligen Axtschlägen hat er die zweieinhalb Meter hohen und immerhin noch halb so breiten Fichtenplatten so strukturiert, dass die Schattenwürfe all der kleinen Kerben und Kerbchen eine ebenso aufregende wie geordnete Oberfläche bilden.
Auf drei großen, weiß gebeizten Wandtafeln sind diese "gerichteten Spuren" radial angelegt, wodurch ein visueller Sog entsteht, der sogar sakrale Qualitäten besitzt - die Mischung aus Triptychon-Form und Helios-Motivik verleiht dem Zentralsaal des Hauses die Anmutung einer Kultstätte.
"Gewisser Hackrhythmus"
Objekte nennt Haberpointner selbst diese Arbeiten, die aus der Ferne wie Tafelbilder wirken. Und in der Tat verzahnen sie sich Faser für Faser, die durchs Beil vom Holz gelöst wird, mit dem Raum. Der Übergang zwischen Plastik und Malerei, zwischen zweiter und dritter Dimension, könnte kaum verzahnter sein, beziehungsweise substantieller ausgelotet werden. Wie lange hackt Haberpointner an einem seiner Bilder? "Schon an die zwei Wochen", sagt der Oberösterreicher. Es gehe darum, "einen gewissen Hackrhythmus einzuhalten", nur so könne er seine spezifischen Hack-Texturen herstellen. Vermutlich bewegt sich ein solches Arbeiten irgendwo im Grenzbereich zwischen Monotonie und Meditation.
Neben Gehacktem zeigt die - von Marckshaus-Direktor Arie Hartog, Yvette Deseyve und Martin Hochleitner, dem Leiter der Landesgalerie Linz, kuratierte - Ausstellung auch Gehängtes, vor allem die namensgebenden Haken. Schwer baumeln sie an eigens errichteten Ketten und Tragegestellen, interessieren den Künstler unter anderem als technische Archetypen. "Man braucht sie zum Heben", erläutert Haberpointner, oder auch: "Man verbirgt eine Form unter einem Teigstück." - Angler kennen das.
Überinterpretation ist ein Grundübel der Kunstkritik. Wer etwa komplexe Inspirationen durch die griechische Mythologie in Haberpointners Hakenwerken namens "Hercules friends II" vermutet - irrt. "Hercules" heißen schlicht die großformatigen Reißnägel, mit denen Haberpointner seine Hölzer derart dicht beschlägt, dass sie wirken, als seien sie mit einem Schuppenkleid überzogen. Oberflächen und die Materialität darunter stehen bei Haberpointner stets in einem spannungsgeladenen Verhältnis.
Wer sich als Bildhauer auf Holz einlässt, hat es mit einem eigenwilligen Partner zu tun. Kaum ein Material besitzt derart viel Eigenleben, verändert sich, baut so große Spannungen auf, die sich in Verwerfungen und Rissen entladen. Doch Haberpointner gehört nicht zum Typus jener naturinspirierten Objektkünstler, die vor allem der Eigenwilligkeit des Materials nachspüren und deren Besonderheiten in den Vordergrund stellen.
Astlöcher? Lieber nicht
Auch Astlöcher zählen nicht zu Haberpointners Freunden. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Bildhauer vornehmlich mit "Espenholz" arbeitet, also Pappel - ein schnell wachsendes Weichholz, das wenig Binnenspannungen aufweist und in großen Klaftern zur Verfügung steht. Eine Ausnahme gibt es: Köpfe macht Haberpointner am liebsten aus Nuss. Wegen der Jahresringe, die von den ovalen Formen bei einem Schnitt in Wuchsrichtung so schön zu Geltung gebracht werden.
Im "Arsenal", einem mehrere Meter langen, dreistöckigen Alu-Regal, stellt Haberpointner diese Nuss-Schädel nun aus. Die amorphen Profile sind von unterschiedlichsten Oberflächen überwuchert: aus einem wachsen Bürstenbüschel, ein anderer ist mit Krampen übersät, ein dritter mit Bleiblech ummantelt. Am eindrucksvollsten aber ist der Kohlekopf: tiefschwarz, matt, porös und gleichzeitig sanft schimmernd, wie nur Holzkohle sein kann.
Haberpointner mag menschliche Körperteile. Neben den Köpfen finden sich in seinem Werk auch einige Füße, vor allem aber Hände. Die liegen nun auf dem Steinboden des Marckshauses, die Handteller weisen nach oben, die tief eingeschnittenen Spuren der Kettensäge lenken den Blick des Betrachters unwillkürlich auf die eigenen Lebenslinien. Es sind Hände, die bei aller relativen Rohheit ihrer Bearbeitung dennoch zart anrühren. Und wiederum ist es die Technik der Verkohlung, die einer dieser Hände eine besondere Intensität und Verletzlichkeit verleiht.
"Der Haken der Bildhauerei" gehört zum gar nicht so häufigen Typus der Midcareer-Ausstellungen: Für eine Retrospektive ist Haberpointner, Jahrgang 1966, viel zu jung - und zu alt, um noch als Newcomer vorgestellt zu werden. Das aber sind die Formate, mit denen Museumsleute und Galeristen am liebsten hantieren. Insofern hat Haberpointner Glück, nach Bremen und ans Marckshaus geraten zu sein: Dessen Direktor widmet sich seit einiger Zeit immer wieder Bildhauern, die nicht nur in Norddeutschland unter die Kategorie "Bitte wer?" fallen. Bei Haberpointner und seinen Haken könnte das künftig durch ein "Ja, der!" ersetzt werden.
"Der Haken der Bildhauerei - Skulpturen von Alfred Haberpointner": bis 26. Februar, Bremen, Gerhard-Marcks-Haus
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