Holzklotz-Täter: Frustration als Motiv
Seit Ostern haben Ermittler gerätselt, wer an Ostern einen Holzklotz von einer Autobahnbrücke geworfen und so eine Frau getötet hat. Nun hat ein arbeitsloser Drogenabhängiger die Tat gestanden.
![](https://taz.de/picture/389631/14/fenster_b.jpg)
Diese Tat hatte etwas Monströses, und das lag nicht allein an der Tatwaffe - ein sechs Kilo schwerer Holzklotz -, sondern vor allem am Tathergang: Eine Autobahnbrücke nahe Oldenburg, es ist dunkel, als unten auf der Betonpiste aus Richtung Wilhelmshaven ein silberfarbener BMW angerast kommt. Als der Wagen die Brücke erreicht, stürzt der Holzklotz nach unten. Er durchschlägt die Frontscheibe, die 33 Jahre alte Beifahrerin ist sofort tot. Die beiden Kinder auf dem Rücksitz schreien, der Mann der Toten bringt den Wagen zum Stehen. So endet am Ostersonntag ein Familienausflug an die Küste. Wer tut so etwas?
Die Polizei schließt eine Beziehungstat aus, sie ermittelt wegen Mordes, sämtliche Besucher mehrerer Osterfeuer in der Gegend werden befragt, 700 Hinweisen wird nachgegangen. Über die Medien wird Druck erzeugt, gezielt, um den oder die Täter weichzuklopfen. Jetzt ist der Fall wohl aufgeklärt. Die Polizei in Oldenburg hat einen 30 Jahre alten Mann festgenommen, sein Geständnis klingt glaubhaft.
Die Stimmung ist gelöst am Mittwochabend im Gebäude der Oldenburger Staatsanwaltschaft, Polizei und Staatsanwaltschaft haben zur Pressekonferenz geladen. Der örtliche Polizeichef Johann Kühme zeigt unverblümt seinen Stolz - für ihn ist es auch eine persönliche Genugtuung: Die Staatsanwaltschaft hatte die Polizei dafür gerüffelt, dass sie sich so offensiv an die Medien wandte. Jetzt hat der Polizeichef gewonnen, wenn man die Ermittlung als Wettbewerb zweier Behörden um die beste Taktik verstehen will. Der Chef der Sonderkommission "Brücke", Reiner Gerke, sagt einem Fernsehsender, die Kollegen der Soko würden sich "zusammensetzen und feiern". Nüchterne Ermittler stellt man sich anders vor, aber vielleicht läuft das so im Polizistenalltag: den Mörder gefasst, dann wird gefeiert. Fraglich nur, ob man darüber reden muss.
Nikolai H. heißt der geständige Tatverdächtige, und setzt man alles das, was man über ihn weiß, zusammen, rührt die Erleichterung über seine Festnahme möglicherweise auch daher, dass er für viele in ein Raster passt. Das macht eine unerklärbare Tat ein Stück erklärbar. Ein arbeitsloser 30-Jähriger, aus Kasachstan vor 16 Jahren nach Deutschland eingewandert, seit Jahren von harten Drogen abhängig, hat nur einmal kurz als einfacher Arbeiter Geld verdient, saß anderthalb Jahre in Haft, Beschaffungskriminalität. Er wohnt, so hat es die örtliche Nordwest-Zeitung rausgefunden, in einer "schmutzigen Baracke einer heruntergekommenen Siedlung" in Wahnbek am Stadtrand Oldenburgs.
Der Tatverdächtige hatte sich selbst an die Polizei gewandt, zunächst als Zeuge. Zwei Tage nachdem die Polizei laut über einen Massengentest nachgedacht hatte. Zwar hatten die Experten des Landeskriminalamts Hannover keinerlei DNA-Spuren am Klotz gefunden, aber diese Information musste man ja nicht herausgeben. Ermittlungstaktik, die wohl aufgegangen ist. H. gab an, er sei bereits nachmittags mit dem Rad auf dem Weg zu einem Dealer gewesen, habe den Holzklotz auf der Fahrbahn liegen sehen und ihn an das Brückengeländer gelehnt. Er wollte mögliche Spuren erklären, die bei einem DNA-Test auf ihn hätten schließen lassen. "Ein Drogenabhängiger, der auf dem Weg zum Dealer einen Holzklotz wegräumt, das fanden wir unwahrscheinlich", sagt der Soko-Chef.
Es fand sich auch kein Zeuge, der den Holzklotz seitdem dort liegen gesehen hatte. Dass sich H. später von Fernsehteams als Zeuge interviewen ließ, auch auf der Brücke, erhöhte das Vertrauen in seine Version wohl nicht. Bodenproben von H.s Grundstück ließen schließlich keinen Zweifel mehr daran, dass der Holzklotz dort gelegen hatte. H. wurde festgenommen, nach gut dreistündigem Verhör gestand er die Tat. "Allgemeinen Frust" gab er als Grund an.
Der Leiter der Kriminologischen Forschungsinstituts Hannover, Christian Pfeiffer, sagt, eine solche Tat sei "typisch für Menschen, die ohnmächtig und gescheitert sind". Einmal wollten sie Macht haben. Macht als Ausgleich für massiven Frust, das sei, sagt Pfeiffer, ein Grundmotiv vieler Taten, manchmal hätten die solch monströse Folgen. Vor Gericht wird geklärt werden, ob H. zum Tatzeitpunkt voll schuldfähig war. Es wird ein Fall für Gutachter werden.
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