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Hollands Giftschnüffler

„Die Leute von der Crew sind alle sehr nett“, der Einschätzung von Kapitän Krist ist beim Abendessen an Bord der „Vios“ nichts hinzuzufügen. Die 13 sympathischen, meist jungen Holländer haben allen Grund zu guter Laune: Die Kombüse serviert einen erstklassigen Rollbraten, und der eben zurückgekehrte Projektleiter, Dr. Jan Dogterom steuert gute Nachrichten aus dem Rotterdamer Rathaus bei: Die Stadt Rotterdam hat diese Woche den Forschungsauftrag für die „Vios“ und deren kleineres Schwesterschiff, die „Onrust“ (deutsch: Unruhe), für weitere zwei Jahre bestätigt. Die „Onrust“ unter Kapitän Krist gehört dem „International Centre of Waterstudies“ (ICWS), einer in Amsterdam ansässigen privaten Forschungsstiftung; zusätzlich wurde die „Vios“ unter Kapitän Pijl gemietet. Ihr Auftrag: die Lüftung eines der bestgehüteten Betriebsgeheimnisse der chemischen Industrie entlang des Rheins und seiner Nebenflüsse - wer leitet wo welche Giftbrühe in den Fluß. Im Rahmen des von der Stadt Rotterdam getragenen Pro jektes „Sauberer Rhein“ hat das Team der beiden Forschungsschiffe auf einer fast dreimonatigen Tour von September bis Anfang Dezember zwischen Rheinfelden am Hochrhein und der Mündung bei Rotterdam 53 Emissionsquellen für Schwermetalle identifiziert. 14 Firmen wurden als Hauptverschmutzer des Rheins ausgemacht. Kernstücke der wissenschaftlichen Ausrüstung sind zwei Meßfische. „Die schnüffeln für uns auf dem Grund des Rheins nach den unsichtbaren Einleitungsrohren,“ erläutert Jan van der Sluis, der wissenschaftliche Leiter. Die rund ein Meter langen Meßfische - nach dem holländischen Wort „Meet–vis“ schlicht MV 1 und MV 2 benannt - wurden ursprünglich vom niederländischen Institut für Meeresforschung entwickelt. Sie sehen Torpedos nicht unähnlich, was schon einmal zu Aufregungen führte, als die Crew ihre Meß–Geschosse auf der Mosel bei Koblenz just neben einem Bundeswehr–Gelände wasserte. Vermutet die Crew ein unter der Wasseroberfläche liegendes Einleitungsrohr, werden die beiden Schnüffel–Fische per Kran auf Tauchgang geschickt. Eingebaute Meßinstrumente registrieren Tiefe, Temperatur, Fließgeschwindigkeit und vor allem die elektrische Leitfähigkeit des Wassers - Hinweis für metallische und andere Ionen–Konzentrationen. Ist eine Abwassereinleitung lokalisiert, geht die „Vios“ in deren „Frachtfahne“ in Position, die „Onrust“ zwecks Erhebung von Vergleichsdaten oberhalb der Einleitung. Die Positionen der Schiffe werden mit einem Laser– Abstandsmeßgerät fixiert und im Computer gespeichert. Dann pumpen die beiden Wissenschafts–Torpedos ihre Beute - jeweils fünf Proben aus drei verschiedenen Tiefen - über einen Schlauch direkt ins mit Meßgeräten und Computern vollgestopfte Bord–Labor, wo erste Schnellanalysen gemacht werden. Die genauen Feinanalysen werden dann später in Fachlabors des Laboratoriums für Hydromechanik in Delft und zwei Universitäten gemacht. Immerhin hat die Crew von ihrem letzten Trip mehrere tausend Proben mit nach Hause gebracht. Ging es beim vergangenen Herbst–Trip um die Identifizierung der Brunnenvergifter, so ist das Ziel der kommenden Forschungs–Fahrten die genaue Quantifizierung der Giftfracht. Dann sollen nach den Schwermetallen Cadmium, Chrom, Kupfer, Blei und Zink, auf die man sich bisher konzentrierte, auch die chlorierten Kohlenwasserstoffe erfaßt werden. Die Stadt Rotterdam will diese genauen Daten für ihre Schadensersatz–Verhandlungen mit den Rhein–Verschmutzern und vor allem als Beweismaterial für eventuelle spätere Prozesse. Natürlich haben bereits deutsche Behörden, so einige Regierungspräsidien und das Bundesamt für Gewässerschutz höchstes Interesse an den brisanten Daten angemeldet. Denn wohl noch nie wurde die Gift–Fracht des Rheins so umfassend in einem Schadstoff–Atlas dokumentiert. Für einzigartig auf der Welt hält Jan Dogterom dieses Pilot–Projekt. Die Mitarbeiter der Forschungsschiffe und des Centres stehen bei der Stadt Rotterdam unter Vertrag und kontern alle Nachfragen nach den Namen der 14 Konzerne mit dem Verweis auf ihren Brotgeber.

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