: Hohe Wahlbeteiligung in Polen
■ 80 Prozent der rund 26 Millionen Stimmberechtigten machten sich auf den Weg zur Wahlurne / Staats- und Parteichef Jaruzelski schlägt große Koalition mit Opposition vor / Walesa will Namen reformfreudiger Politiker der Regierungskoalition nicht streichen
Warschau (dpa/afp/ap) - In Polen begann gestern die erste freie Wahl zum Senat und Parlament (Sejm), an der sich die Opposition mit eigenen Kandidaten beteiligt. Bevor Sonntag früh um sechs Uhr die Wahllokale ihre Pforten öffneten, sprach sich Staats- und Parteichef Jaruzelski für eine „breite Koalition“ aus. In einer Fernsehansprache schlug er der Opposition eine große Koalition vor, um der Demokratie und der nationalen Verständigung den Weg zu bereiten. Bei den Parlamentswahlen, so Jaruzelski, gehe es nicht um Sitze, sondern um die Zukunft Polens, die im „Geiste des Kompromisses“ errichtet werden müsse, wie er bei den „Gesprächen am runden Tisch“ geherrscht habe.
Annäherung signalisierte auch Arbeiterführer Walesa. Solidarnosc solle nicht alle Kandidaten der Kommunistischen Partei und der Regierungskoalition streichen. Gegenüber dem polnischen Fernsehen erklärte er, daß er auf den Wahlzetteln, die den Kandidaten der Regierungskoalition vorbehalten sind, einige Namen mit reformfreudigen Leute stehen lasse wolle. Walensa wandte sich damit öffentlich gegen Empfehlungen vieler Solidarnosc-Wahlbüros, nur die Namen der eigenen Kandidaten stehen zu lassen. Bei seiner Stimmabgabe in Danzig sagte Walensa: „Polen hat den Weg der Reform eingeschlagen. Man muß dem Land dabei helfen.“
In Polen wird damit gerechnet, daß sich etwa 80 Prozent der rund 26 Millionen Stimmberechtigten an der Wahl beteiligen werden. In den Wahllokalen, die bis 22 Uhr geöffnet blieben, bildeten sich lange Schlangen. Nach dem veränderten Wahlsystem, das in den Gesprächen am runden Tisch zwischen Regierung und Opposition ausgehandelt worden war, stellt die Opposition Kandidaten für 261 der insgesamt 560 Sitze in beiden Kammern auf. Während die Wahlen zum neugegründeten Senat völlig frei sind, hat sich die Regierungskoalition für die Wahl zum Sejm 65 Prozent der Sitze vorbehalten. Um die restlichen 35 Prozent haben sich die Kandidaten der Gewerkschaft Solidarnosc beworben. Somit steht bereits seit Wochen fest, daß die die von der Kommunistischen Partei (PVAP) geführte Regierungskoalition als stärkste parlamentarische Kraft aus den Wahlen hervorgehen wird. Im gestrigen ersten Wahlgang kommen allerdings nur die Kandidaten durch, die die absolute Mehrheit von mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten. Diejenigen Kandidaten mit den relativ meisten Stimmen müssen sich am 18. Juni einem zweiten Wahlgang stellen.
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