: HoffnungsträgerInnen gefährdet
■ Pro-Familia-Beratungsstelle für türkische Frauen bekommt keine neuen ABM-Stellen Auch Angebote für geistig und mehrfach behinderte Menschen gefährdet
West-Berlin. Die sozialmedizinische Beratung für türkische Frauen und geistig und mehrfach behinderte Menschen, die von Pro Familia seit einem Jahr in Kreuzberg und Tiergarten angeboten wird, ist gefährdet. Dies teilten Sprecherinnen von Pro Familia gestern auf einer Pressekonferenz mit. Es gebe bisher keine Verpflichtungserklärung vom Senat für Gesundheit und Soziales, die im September auslaufenden ABM -Stellen in feste Stellen umzuwandeln. Beim Senat verweist man auf die anstehenden Haushaltsberatungen in den Ausschüssen, für Pro Familia angesichts der bereits im letzten Jahr im Sozialbereich eingesparten Millionenbeträge keine ermutigende Auskunft.
Ausgangspunkt für den neu aufgebauten Arbeitsbereich „Sexualität und Behinderte“ war für Pro Familia die Diskussion über „Sterilisation geistig behinderter Menschen“. „Es ist eine Tatsache“, so die Gynäkologin Ingrid Kaemmerer, „daß Sexualität in Heimen für Behinderte unterdrückt wird.“ Die Lösung der mit Sexualität verbundenen Probleme sei oft Sterilisation, die Betreuer seien überfordert. Diese Hilflosigkeit äußere sich in Bezeichnungen wie „distanzlos und triebhaft“, sobald Jugendliche sexuelle Wünsche äußerten. Ein komplexes Beratungsangebot für den Kreis der Behinderten und ihrer Eltern und Betreuer, bei dem die Sterilisationsfrage „ganz weit hinten“ stehe, habe Pro Familia deshalb angeboten, um das allgemeine Defizit im medizinisch-sozialen Betreuungsbereich auszugleichen. Die sozialmedizinischen Dienste in den Bezirksämtern seien für die meisten Menschen keine Alternative, da diese einer Aktenführungspflicht unterliegen. Pro Familia arbeitet anonym und ist - außer im finanziellen Bereich - staatsunabhängig und neutral.
Ähnliches gilt für den Beratungsbereich für türkische Jugendliche und Erwachsene in Kreuzberg. Eine kombinierte medizinisch-soziale Beratung in türkischer Sprache wird in Berlin außer bei Pro Familia nicht angeboten. Man versuche, sich insbesondere mit der islamischen Kultur und ihrem Verhältnis der Geschlechter auseinanderzusetzen. Fragen wie „Jungfernschaft, Verhütung, Schwangerschaft, Paragraph 218, Generationenkonflikte“ stünden im Mittelpunkt der Beratungstätigkeit. Man gelte im Bezirk als „Hoffnungsträger“ für andere mit ausländischen Jugendlichen arbeitende Projekte. Die Erfahrung habe gelehrt, daß der personengebundene Kontakt für türkische Frauen und Mädchen wichtig sei; schon ein Wechsel der Ansprechpartnerinnen in der türkischen Sprechstunde führe zum „Wegbleiben“ und Vertrauensverlust. Um die Beratungsarbeit nicht zu gefährden, so Gaby Halder von Pro Familia, müsse der Senat deshalb schon jetzt definitive Zusagen in der Personalfrage machen.
Sigrid Bellack
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