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Hoffnung nach einfachen Lösungen

■ betr.: „Alte Rezepte frisch auf den Tisch“ (Geschlossene Heime für kriminelle Kinder), taz vom 5.12. 97

[...] Der Wunsch nach geschlossener Heimerziehung als ordnungspolitische Lösung bedient die Hoffnung nach einfachen Lösungen. Die Erfahrung lehrt aber, daß auch geschlossene Einrichtungen ihren Markt finden werden, weil es verführerisch ist, komplizierte Prozesse abkürzen zu wollen. Ende der 70er Jahre waren vier Fünftel der geschlossenen Heimplätze wundersamerweise Mädchen vorbehalten, und insgesamt waren dort Jugendliche mit denselben Problemlagen wie in offenen Einrichtungen untergebracht. Reden wir von einer anderen Jugendhilfe, die keine Lösungen aus ordnungspolitischer Sicht verspricht. Ich gestehe ein, daß die mit Freiwilligkeit begründete Aufnahme und Weggeh-Praxis in vielen schwierigen Lebenslagen und Lebensphasen von Kindern und Jugendlichen zu kurzatmig und beliebig bleibt. Ich gestehe die Erfahrung zu, daß unsere lebenswelt- und alltagsorientierten Konzepte für Kinder und Jugendliche in manchen zugespitzten Problemlagen zu wenig Distanz beinhalten können zum alten Umfeld, Verhalten und zu Bezugspersonen mit negativem Einfluß. Hier ist eine Lücke, die es zu schließen gilt.

Kinder und Jugendliche brauchen Akzeptanz, Unterstützung und Orientierung. All das in einer verbindlichen Beziehung. Verbindlichkeit nicht nur in der Art der Auseinandersetzung, im Regeln-Erstellen und -Einfordern, sondern auch bei der Organisation der Jugendhilfe, bei der Frage zum Beispiel, ob die Zuständigkeit an der Schwelle der Einrichtung nach „freiwilligem“ Weggehen enden darf oder ob nicht Nachgehen, Kontakt suchen usw. gefordert ist. Verbindlichkeit bedeutet aber auch, daß Abschlußhilfen und letztlich Lebensperspektiven aufzeigbar sind. Eine schwierige Aufgabe bei unserer Gesellschaft im Umbruch, die die Jugendhilfe niemals allein lösen kann.

Kinder und Jugendliche bleiben in Einrichtungen der Jugendhilfe oder kommen selbst zurück – offen oder baulich gesichert –, wenn diese Voraussetzungen erfüllt werden.

Interessant ist, daß die geschlossene Heimerziehung in den Medien am Beispiel von Kindern und Jugendlichen gefordert wird, die hier ausländerrechtlich keine Perspektive haben sollen. Wollte man dies ändern und auch die Kosten dafür tragen, dann ist das auch mit den vorhandenen und sicher oft zu verbessernden Möglichkeiten der Jugendhilfe zu leisten. Die Jugendhilfe ist und kann mit ihren Angeboten für besonders schwierige Kinder und Jugendliche trotzdem nicht zufrieden sein. Es bleibt die Frage: Wie lange können und wollen wir es uns eigentlich noch leisten, im öffentlichen Bewußtsein Jugendliche als gewalttätig und kriminell abzustempeln, hochgekocht durch indifferenziert betrachtete Einzelfälle. Und welchen Interessen und Medienvertretern nützt das eigentlich? Roland Geiger,

Geschäftsführung von

Aktion 70

– Jugendhilfe im Verbund e.V.

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