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Hoffnung auf eine zweite Geburt

■ Aus Rot-Grün gelernt? ",Weniger ist mehr' ist eine der Lehren für eine grüne Regierungsbeteiligung, eine andere, daß imperative Mandate nur Sinn machen, wenn der Imperativ nicht sinnentleert ist"

Im Januar 1989 riß Walter Momper – unter anderem mit einem personalpolitischen Coup, neun Frauen mit in sein Kabinett zu holen – die bundesrepublikanische Öffentlichkeit aus dem Schlaf. Eine selten vorher so engagierte öffentliche Anteilnahme an der Politik und an den von Rot-Grün vorgegebenen Themen begann, wovon noch heute so manche Journalisten zu schwärmen wissen.

Nach der ersten Gesamtberliner Wahl 1990 legte sich der Mehltau über die Stadt: „Mief statt Metropole“. Noch im Frühjahr dieses Jahres hegten viele die Hoffnung auf eine Wiederholung, eine Gnade der zweiten Geburt für ein rot-grünes Reformbündnis, doch das bundesdeutsche Menetekel der Sozialdemokratie spiegelt sich in der Metropole wider: Personalquerelen, innerparteilicher Kotau zwischen Rechten und Linken, Zusammenhalten, was nicht zusammenzuhalten ist.

Der rot-schwarze Herbstwind des Wechsels bläst grüne Hoffnungen davon. Auch Ingrid Stahmer wird die Talfahrt der SPD in dieser Stadt nicht aufhalten; eine eindeutige Koalitionsaussage wird bis zum heutigen Tage vermißt.

Die Spitzenkandidatin spiegelt diesen Zustand bildlich: Stagnation, Lähmung und Lächeln. „Die Berliner sollen sich wohlfühlen in ihrer Stadt“ lautet der Wahlslogan der SPD. Das wars! Walter Momper führt einen Sonderwahlkampf für Rot-Grün und wird von den Sozis dafür belächelt.

Unterdessen haben die berüchtigten Klüngelkreise sich ihrem wichtigsten Thema, dem Personalkarussell, gewidmet: Egal, wie gewählt wird, an Ingrid kommt keiner vorbei, an Frau Bergmann auch nicht, die Ostquote ist Beschluß, die Justizsenatorin wird am Ende – unabhängig von Qualifikation und Kompetenz – gar geschaßt, denn drei Frauen in einem verkleinerten Senat ist für die SPD zuviel!

Und die Grünen? Wie Ameisen, so fleißig und überall, arbeiten sie sach- und fachkompetent wie eh und je, selbst die Spar-, Wirtschafts- und Finanzpolitik überlassen die Großen den Kleinen, sie kämpfen vor Hertie und Karstadt genauso wie im „Café Rix“, oder in der „Alten Welt“ um jede Stimme und erfüllen die Erwartungen enormer Wachstumsraten für die Grünen an der Politbörse. Die CDU kann sich unangefochten als Hauptstadtpartei darstellen, die SPD möchte am liebsten verschweigen, daß sie an der Regierung beteiligt war.

Aber was wäre nun wenn? Rot- Grün 1989 litt darunter, daß alles und jedes ein „Essential“ war, vom Potsdamer Platz bis zur Verkehrsberuhigung in Anliegerstraßen, vom Kita-Streik bis zu einem Tag mehr oder weniger im Bildungsurlaubsgesetz, und die „Pakete“ die geschnürt wurden, waren oft selbst für Rot und Grün zu schwer. Das Prinzip der Selbstbegrenzung, das bei den Grünen hoch im Rang steht, konnte bei soviel erwartungsvoller Klientel nicht durchgehalten werden.

Es fiel uns Grünen nicht leicht, auch unserer Klientel gegenüber offensiv den Gedanken zu vertreten, daß für die Zwecke einer Reformpolitik eine Begrenzung und zum Teil Zurückstellung von Individual- und Eigeninteressen notwendig ist. Weniger ist mehr! Dies hätte auch für das erste rot-grüne Experiment Geltung haben können/müssen.

Das war eine der konstruktiven Lehren/Erfahrungen für die regierungsbeteiligten Grünen. Eine andere ist, daß imperative Mandate nur dann einen Sinn machen, wenn der Imperativ nicht sinnentleert und nur dem Prinzip geschuldet ist.

Überparteiliche Kompromisse kamen nicht zustande, da kompromißlose Parteitagsbeschlüsse uns Fußangeln umlegten, die uns zum Rückzug zwangen und so den Verlust eines Stücks politischer Kultur, des Vertrauens und der Glaubwürdigkeit hervorbrachten.

Nun denn: manche Grüne wünschten sich die „Gnade der zweiten Geburt“ in diesem reiferen Zustand des „alles schon mal dagewesen“. Sie wären regierungsbereit auch nur mit ein oder zwei Stimmen Mehrheit. Ingrid Stahmer, mit ihr die Mehrheit der GenossInnen, scheint dies anders zu sehen: Ihre Genossen haben Angst, zumal auf möglicherweise dünnen Mehrheiten – etwa noch mit gefürchteten Abweichlern in den eigenen Reihen – ihre Politik zu hinterfragen, neu orientieren und sich mit einem anderen Gesellschaftsentwurf auseinandersetzen zu müssen.

Sie halten fest an ihrem Motto: Wer sich bewegt, hat schon verloren!“ und fahren fort, zusammenhalten zu wollen, was nicht zusammenzuhalten ist: ihre heterogene Wählerschaft von Gewerkschaftsklientel und Interessensverbänden, Modernisierern und Traditionalisten, Abweichlern und Parteisoldaten, Fraktionen und Flügeln.

Solange die Sozialdemokratie nicht über ihren kleinsten gemeinsamen Nenner, „die soziale Frage“ hinaus, eine von der CDU unterscheidbare Programmatik entwickelt, wird sie im Spagat sitzend verharren und als „veraltetes Modell“ in den Wandschränken mit der neuen Designergeneration des konservativen Stils entweder gegen Motten oder frischen Wind konkurrieren müssen. Anne Klein

wird fortgesetzt

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