Hoffnung auf Frieden in Burundi: Kochtopf statt Kalaschnikow
Nach 16 Jahren Bürgerkrieg geben die FNL-Rebellen ihre Waffen ab. Und hunderttausende Exilburundier kommen heim.
Marius Ningabire lächelt erwartungsvoll, als sein Name durch den Lautsprecher dröhnt. Der Mann in Camouflage tritt zwischen seinen Kameraden hervor. Schweißperlen rinnen über seine Wange. Vier Tage lang hat der 31-Jährige in der zentralafrikanischen Hitze hinter einem rostigen Zaun gewartet. Nach vier Jahren Krieg in Burundis letzter Rebellenmiliz "Kräfte zur Verteidigung der Hutu und zur Nationalen Befreiung" (Palipehutu-FNL) zieht er Uniform und Gummistiefel aus. Barfuß und in Unterhose sitzt er jetzt vor einem UN-Angestellten: Fingerabdruck und Kontaktadresse muss er angeben, dann bekommt er 50 Dollar und einen gelben Sack in die Hand gedrückt.
Ningabire guckt enttäuscht: "Ist das alles, nach all dem, was wir im Busch durchgemacht haben?", grollt er. Der UN-Angestellte mahnt zur Ruhe. Die Stimmung in dem provisorischen Zeltlager ist angespannt. Ungeduldig warten tausende uniformierte Rebellen hinter dem Maschendrahtzaun auf den Striptease in ein neues Leben. Die Erwartungen sind groß - und die Enttäuschung ist es auch.
Burundis letzte Rebellenmiliz gibt nach 16 Jahren Bürgerkrieg ihre Waffen ab. Im April überreichte ihr Führer, Agathon Rwasa, symbolisch seine Kalaschnikow. Nach jahrelanger Vermittlung durch die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union hatte er im Jahr 2006 einen Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet. Doch dann war der Friedensprozess ins Stocken geraten. Im Januar erklärte Rwasa schließlich, er werde seine Miliz in eine politische Partei umwandeln. Im nächsten Jahr stehen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an.
"Wir wollen weiterkämpfen, nur ohne Waffen", nickt Severin Ndabarushimana, einer der FNL-Kommandeure. Er hat sich einen Regierungsposten ergattert. "Ich bin jetzt Zivilist", sagt er und zwinkert mit den Augen. Gekleidet in Jeans und Karohemd, marschiert Ndabarushimana am Zaun auf und ab. Durch ein Megafon spricht er seiner Truppe Mut zu: "Habt Geduld, ihr werdet alle gleichermaßen entlohnt."
Doch Ndabarushimana weiß: Dies ist eine Notlüge, nicht alle werden gleich behandelt. Die zwischen der Regierung und der FNL ausgehandelte Vereinbarung sieht vor, 3.500 Rebellen in die Armee zu integrieren. Rund 5.000 Exkämpfer sollen das Reintegrationsprogramm der Weltbank durchlaufen. Ein Fonds, der auch von Deutschland ausgestattet wurde, stellt ihnen ein Startgeld von mehreren hundert Dollar zur Verfügung, um einen Laden zu eröffnen oder eine Ausbildung zu absolvieren. Doch das Geld reicht nicht für alle: Über 11.000 Rebellen werden, wie Ningabire, mit 50 Dollar und einem Startpaket nach Hause geschickt.
Hastig reißt Ningabire den Plastiksack auf, kippt den Inhalt auf den Rasen: ein Radio, Flip-Flops, Hemd, Hose und ein Kochtopfset. "Damit kann ich nur mit Gottes Hilfe überleben", seufzt er und schlüpft in die Hose aus billigem Stoff. Der Reißverschluss klemmt, der Knopf ist lose. Ningabires Lippen zittern. Er hatte sich so viel erträumt, und nun?
Ningabire war vor vier Jahren in die Miliz eingetreten. Doch nicht, weil er kämpfen wollte - auch nicht, weil er Hutu ist. Sondern: "Man hatte mir versprochen, dass ich in die Armee aufgenommen werde und ein festes Gehalt bekomme", sagt er. Dafür hat der Bauernsohn viel aufgegeben: Das ererbte Feld wird nun von seinen Brüdern beackert. Seine Frau und sein drei Jahre alter Sohn leben bei seinem Onkel. In seine Lehmhütte sind Flüchtlinge eingezogen, die aus dem Exil zurückkamen. Wohl oder übel müsse er sich nun in der Hauptstadt Bujumbura nach einem Job umsehen, klagt er.
Zögernd klettert Ningabire auf die Ladefläche des Lkws, der die Exrebellen in die Hauptstadt fährt. Er winkt noch einmal, dann verschwindet der Lastwagen in einer Staubwolke. Es wird nicht einfach für die Männer, Arbeit zu finden. Wie Ningabire haben die meisten keinen Schulabschluss. In Burundi gibt es kaum Industrie und so gut wie keine Arbeitsplätze. Die Motorradtaxis, die im Kongo zahlreichen ehemaligen Kämpfern ein Einkommen ermöglichen, sind in Bujumbura Sammeltaxis, die erschwinglicher sind. Und selbst ein Taxifahrer verdient nur zwei Dollar pro Tag. Burundi zählt zu den ärmsten Ländern Afrikas.
Dennoch: In Bujumbura herrscht Aufbruchsstimmung. Rund um den Marktplatz wurden Bürgersteige angelegt. Hotels sowie französische und italienische Restaurants wurden eröffnet; jetzt feiern Jugendliche am Abend in den zahlreichen Nachtclubs. An der Uferpromenade des Tanganjikasees kickt Präsident Pierre Nkurunziza mit den Fußballern seines "Halleluja"-Teams. Die Soldaten der Leibgarde hocken gelangweilt daneben und beobachten ein Nilpferd, das sich im Schlamm rekelt. Ein fast irreales Bild: Noch vergangenes Jahr hatten die Rebellen Bujumbura bombardiert. Das drei Tage andauernde Feuergefecht stellte unter Beweis: Die FNL verfügt über genug Waffen und Rekruten, um es mit der Armee aufnehmen zu können.
Über diese Rekruten und Waffen zerbricht sich Gordon Yekelo den Kopf. Der Vorsitzende der Demobilisierungs-Taskforce der Afrikanischen Union (AU) sitzt in seinem Büro und wühlt sich durch Statistiken. Der Südafrikaner muss zugeben, dass man während der Verhandlungen sehr viele Zugeständnisse an die FNL gemacht hat, denn die Zahlen gehen nicht auf. "Wir sind von 5.000 Rebellen ausgegangen", sagt er. Die FNL habe allerdings eine Liste mit 21.100 Namen eingereicht - darunter Männer wie Ningabire, die vermutlich gezielt angeheuert wurden, um der FNL politisch mehr Gewicht zu verleihen. Yekelo tippt auf eine weitere Ziffer: Die FNL habe lediglich 733 Waffen übergeben - Granatwerfer, Mörser, Kalaschnikows. Ist das alles? Yekelo kritzelt ein Fragezeichen auf seine Schreibtischunterlage: "Der Friedensprozess steht auf wackligen Beinen."
Wie fragil der Frieden ist, lässt sich in Bujumburas Slum Kamenge erahnen, in den viele Rebellen zurückgekehrt sind. Hier leben fast nur Hutu. In den staubigen Gassen lungern betrunkene Männer herum. Auf dem Fußballplatz kickt die Kamenge-Jugend gegen die Spieler aus dem Tutsi-Viertel Cibitoke. Jugendliche hocken am Spielfeldrand und feuern ihr jeweiliges Team an. Doch noch bevor das Match zu Ende ist, postieren sich Polizeieinheiten um den Bolzplatz, um dem Tutsi-Team den Heimweg zu sichern. Bei Anbruch der Dämmerung hasten Spieler und Zuschauer nach Hause.
Asmani Bizoza sucht im Gewühl nach seinem jüngeren Bruder. "Sobald es dunkel ist, verwandelt sich Kamenge in eine Banditenhochburg", warnt der 21-Jährige und zeigt auf die Männer in der Bar: "Die haben alle Waffen." Ab 18 Uhr herrscht in vielen Randbezirken noch immer Ausgangssperre. Das Militär sperrt die Überlandstraßen, weil die Zahl der Raubüberfälle stetig ansteigt. Selbst der Taxifahrer gibt zu: Ohne seine Pistole fahre auch er nachts nur im Zentrum.
Schätzungen gehen davon aus, dass jede Familie mindestens eine Schusswaffe besitzt. In einer 2007 durchgeführten Umfrage gaben die meisten der Befragten an, sie besäßen die Waffe, um ihr Eigentum zu beschützen. Die Menschenrechtsorganisation Iteka, die an der Erhebung mitgewirkt hat, schlägt Alarm: "Die Waffen, gepaart mit Streitigkeiten um Land und Eigentum, bergen ein enormes Konfliktpotenzial", sagt Joseph Ndayizeye, Iteka-Generalsekretär. Burundi ist restlos übervölkert: Jeder Quadratmeter fruchtbarer Boden kann zum Zankapfel zwischen Brüdern, Nachbarn und ethnischen Gruppen werden, die bis an die Zähne bewaffnet sind.
Ndayizeye zeigt nach Osten, an die Grenze zu Tansania: "Die Landfrage wird täglich kritischer", murmelt er. Denn auch im Nachbarland Tansania hat es sich herumgesprochen, dass in Burundi nun Friede herrscht. Kurzerhand hat die dortige Regierung beschlossen: Die 420.000 burundischen Flüchtlinge, die während der Massaker an den Hutu 1972 und 1993 vertrieben wurden, sollen endlich zurückkehren. Jeden Tag überqueren derzeit tausende Menschen die Grenze.
Ibrahim Ndikumano dirigiert die Männer, die seine Haustür abstellen sollen. Der 60-Jährige hockt auf einem Holzstuhl. Um ihn herum stapeln sich seine Habseligkeiten: eine Schaumstoffmatratze, die Holzpfosten seines Hauses, die Wellbleche für das Dach und ein Korb mit Maniokwurzeln. Alles, was der alte Mann im Exil in Tansania besaß, passt in einen Lkw. Dieser parkt nun in einem Transitlager an der Grenze, um die Möbel zu entladen. Ndikumano ist aufgeregt: Heute ist ein bedeutender Tag, und er hat seinen besten Anzug angezogen. Nach 37 Jahren kehrt er in seine Heimat zurück. "Ich bin glücklich. Wir haben nun endlich Frieden", strahlt er.
Als der Lkw entladen ist, will er eigentlich nur noch eins: so schnell wie möglich in sein Dorf Gululi, wo er geboren ist. "Dort gehörten mir einmal viele Felder. Doch die werden seit Jahrzehnten von anderen bestellt", seufzt er und kramt ein Dokument hervor. Er könne seine Ansprüche beweisen, murmelt er. Doch bis ein Gericht über sein Land entschieden hat, werden Jahre vergehen. Mehr als 80 Prozent der Gerichtsprozesse beschäftigen sich mit Eigentumsfragen, denn 90 Prozent der Burundier sind Bauern, die sich selbst versorgen. Geld für Lebensmittel hat hier niemand. Wer in Burundi kein Land hat, muss Hunger leiden. Ndikumano ist gestrandet.
Für landlose Rückkehrer wie ihn hat die Europäische Kommission 20 Friedensdörfer errichtet. Eines davon ist das Dorf Gitera, im Süden des Landes. Die Hausdächer sind mit Plastikplanen abgedeckt. Vor der einzigen Wasserquelle stehen Kinder mit Kanistern Schlange. Eine Schule gibt es nicht, auch keine Kirche. Wie einst im Flüchtlingslager in Tansania müssen die Burundier auch in ihrer Heimat wieder bei null anfangen. Auch hier ist die Enttäuschung groß. Dennoch: Burundi hat zum ersten Mal eine Chance auf Frieden.
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