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Der Episoden-Film „Senses“ besteht aus fünf Kurzfilmen aus fünf Ländern über die fünf Sinne
Um das Sehen geht es ja schließlich im Kino, und zu hören gab es auch schon in seinen ersten Anfängen als Jahrmarktattraktion etwas, auch wenn die Filme zuerst nur mit Musik begleitet wurden, um so das laute Geknatter der Projektoren zu übertönen. Aber alle Versuche des Geruchskinos sind kläglich gescheitert, obwohl einige Cineasten immer noch ihre Riechkarte zu „Polyester“ von John Waters aufbewahren, an der man an Feldern kratzen konnte, die dann etwa nach „Furz“ rochen. Lukullisch und haptisch passiert beim Film auch kaum etwas, auch wenn es guten Regisseuren immer wieder gelingt, dass man im Kino etwa vor Schrecken eine Gänsehaut bekommt, oder einem beim Anblick von Leckereien das Wasser im Munde zusammenläuft.
Fünf Absolventen der Londoner Film School machten 2003 fünf Kurzfilme, in denen jeweils einer der fünf Sinne im Mittelpunkt steht. Ein ebenso simples wie einleuchtendes Konzept, aber letztendlich kommt es auf die Talente der einzelnen Filmemacher an, und so ist die Qualität der einzelnen Episoden fast schon zwangsläufig unterschiedlich.
Norma Nebot, die Regisseurin des ersten Films über das Hören, versucht zum Beispiel etwas zu bemüht, Krzysztof Kieslowski nachzueifern. Wie in dessen „Drei Farben: Blau“ leidet auch bei ihr ein Mensch an dem, was er in seinem Kopf hört. Hier ist es nicht die unvollendete Symphonie des gestorbenen Gatten sondern gleich das Leid der ganzen Welt. Der Dirigent Rashid hat sich an die einsame Küste von Wales zurückgezogen, weil er unter Anfällen leidet, in denen er die Originaltöne von Massakern, Vergewaltigungen, und Bombenattentaten hört, die gerade irgendwo auf der Erde stattfinden. Die Cellistin Anna soll ihm mit ihrer Musik Labsal bringen, aber irgendwie überträgt er seinen Fluch auf sie, und nun hört sie während eines Konzertes plötzlich Schreie und Explosionen. Das ist alles furchtbar bedeutungsschwanger inszeniert und wirkt manchmal schon unfreiwillig komisch, wenn sich etwa auch noch Tonbandkassetten finden, auf denen Rashid irgendwie diese schrecklichen Töne aufgenommen hat, und sie dann auch noch schön ordentlich nach dem Datum einsortierte. Wie eine Erlösung wirken nach diesen ersten 20 Minuten die komischen, manchmal sogar etwas albernen Abenteuer von Jerry, den John Marsala in New York gerne an der Unterwäsche von Frauen riechen lässt (nur gut, dass sich die Riechkarte nicht als künstlerisches Mittel durchgesetzt hat). In einer chilenischen Wüstenlandschaft hat Coke Ayala eine psychedelischen Vision über eine Frau gedreht, die nichts mehr spüren kann.
Aber die intensivste und reifste Episode ist eindeutig „Arthur“ von Jamie Palmer, in dem Dominic Letts einen Paparazzo spielt, der langsam im moralischen Morast seiner Arbeit untergeht. Der Fotograf wird von den von ihm selbst gemachten Fotos getäuscht und kann den eigenen Augen nicht mehr trauen. Dieses Psychogram wirkt so authentisch, dass man es fast für eine Dokumentation halten könnte. Einen ähnlichen Realismus hat auch die Regisseurin Naruna Kaplan de Macedo angestrebt, als sie ihre Titelheldin Zoe einem Liebhaber nach Paris hinterherreisen ließ. In Frankreich wird dann natürlich gekocht, aber die junge, naive Engländerin scheint kaum zu schmecken, was ihr da aufgetischt wird, so sehr ist sie damit beschäftigt, Claude nachzutrauern, der als Transvestit in einer Kommune mit Huren lebt. So stellt sich ein kleines Mädchen das verruchte Paris vor – und dies gilt leider auch für die Regisseurin.
Wilfried Hippen