Hören: Neue Musik, altes Problem
Hamburg will Musikmetropole sein, aber die Neue Musik hat es an der Elbe traditionell schwer. Die Klangwerktage wollen dagegen angehen und setzen auf überregionale Strahlkraft - mit einem Crossover aus Rap und Orchestermusik.
In der Szene erzählt man sich heute noch, wie der Komponist György Ligeti weinend den Kopf auf die Erde geschlagen hat und sagte: "In Hamburg gibt es keinen Platz für Neue Musik." Wobei mit Platz kein Konzertsaal gemeint ist, sondern ein Platz in den Köpfen oder in den Herzen oder in beidem. Hamburg hätte guten Grund gehabt, diesen Platz einzuräumen, schließlich war Ligeti von 1973 bis 1989 Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und lebte nach seiner Emeritierung abwechselnd in Hamburg und Wien. Aber Ligeti, Weltstar im Fach Avantgarde, tat sich mit seiner Musik schwer an der Elbe. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er in Wien, wo er 2006 verstarb.
Als die Kulturmanagerin Christiane Leiste vor 16 Jahren von Bayern nach Hamburg zog, war Ligetis Anwesenheit in Hamburg für sie ein Grund zu glauben, dass in puncto Neuer Musik "richtig was los ist in Hamburg". Schnell merkte sie, dass dem nicht so ist. "Hamburg ist europaweit die einzige Stadt, die sich Musikmetropole nennt und kein Festival für Neue Musik hat", sagt Leiste. Zwar gebe es mit dem Klub Katarakt-Festival und dem Blurred Edges-Festival zwei kleine Neue-Musik-Festivals in Hamburg. "Aber die haben keine Strahlkraft über die Stadt hinaus."
Was es in Hamburg seit fünf Jahren gibt, sind die "Klangwerktage", die von Donnerstag bis Samstag auf Kampnagel stattfinden. Leiste, 48, leitet die Klangwerktage seit 2009 und will mit ihnen hoch hinaus - künstlerisch und im Hinblick auf die öffentliche Wahrnehmung. Also hat sie für das Eröffnungskonzert den amerikanischen Künstler Saul Williams geholt. Der hat sich zwar nicht mit Neuer Musik einen Namen gemacht, sondern mit Rap, Literatur und der Kombination aus beidem, der Slam-Poetry. Ins Programm passt er trotzdem: Weil mit ihm ein Crossover-Projekt zu machen ist. Und weil er von der amerikanischen Ostküste kommt, die Leiste diesmal besonders interessiert hat.
Am Montagabend sitzt Saul Williams auf einer Bierbank in einem mit Spiegeln verglasten Proberaum auf dem Gelände der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel, er ist gerade angekommen in der Stadt und ist in Plauderstimmung. Um ihn herum sitzen elf junge Erwachsene und hängen an seinen Lippen. Die elf sind selbst Schauspieler und RapperInnen, sie stammen aus Hamburg, können was, denken über eigene Bühnenkarrieren nach und werden mit Williams beim Eröffnungsabend auftreten. Für sie ist Williams ein Star und sie sind stolz, dabei sein zu dürfen.
Williams wird beim Eröffnungskonzert Passagen aus seinem Buch "Said the shotgun to the head" sprechen auf eine Art und Weise, die sowohl etwas von Rap, als auch von einer Predigt hat. Dazu werden die Hamburger Symphoniker eine auf Williams Vortrag abgestimmte Auftragskomposition des Schweizer Komponisten Thomas Kessler spielen. Die jungen Hamburger RapperInnen werden als Sprechchor auftreten. Dirigiert wird das Ganze von Jonathan Stockhammer, der mit seinen 41 Jahren zur jüngeren Generation im Dirigentenfach zählt und gerade mal drei Jahre älter ist als Williams.
Williams Charisma hat viel damit zu tun, dass er mit möglichster klarer Sprache Gedanken formuliert, die oft weit weg sind von dem, was auf dem Mainstream-Markt der Ideen unterwegs ist. Der Text "Said the shotgun to the head" handelt von der Ankunft eines weiblichen Messias. Bei der Vorbesprechung auf Kampnagel erklärt er den Rappern eine Passage, in der ein geldgeiler Geschäftsmann beschließt, sich aufgrund von innerer Leere umzubringen. In Williams Text ist der Kommentar dazu: "Alles klar, mach ruhig. Hier ist das Gewehr."
Für Williams geht es bei der Aufführung mit den Rappern und dem Orchester darum, "verschiedene Welten miteinander zu verbinden." Außerdem wolle er die Dichtkunst wieder interessant machen für junge Leute.
Für Veranstalterin Leiste geht es auch darum, eine herausragende Veranstaltung zu haben, um das Festival bewerben zu können. Weil schon ihr zweiter Höhepunkt - eine Kompostion von Mathias Spahlinger für sieben Flügel - nicht mehr ganz leicht vermittelbar ist. "Spahlinger ist in Süddeutschland bekannt", sagt Leiste. "In Hamburg kennt ihn niemand."
Leiste glaubt, dass es beim Publikum Berührungsängste gibt, weil die Neue Musik "in den 1970er Jahren lange Zeit so unsinnlich war". Deswegen gibt es bei den Klangwerktagen "Reisebegleiter", das sind fachfremde, aber musikliebende Promis, die dem Publikum einen Komponisten in eigenen Worten vorstellen. Neben dem Maler Bernd Zimmer kommt die Schriftstellerin Brigitte Kronauer - sie spricht vor dem Konzert "Yuz - A Yodel Cry" für Posaune und Viola.
Finanziert werden die Klangwerktage durch das Netzwerk Neue Musik und Sponsoren, die oft trotz ihres großen Namens nur kleines Geld geben. Von der Stadt Hamburg gibt es keine Förderung. Dafür gibt es in Hamburg bald eine Elbphilharmonie. Dort wird es Beethoven, Brahms und Mozart rauf und runter geben. Aber keine Neue Musik - ganz im Sinne der Tradition.
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