: Hören wie ein Embryo
Die Tomatis-Methode soll hyperaktiven Kindern und Tinnituspatienten helfen. Zwei Praxen in Bremen bieten die Therapie an. Krankenkassen zahlen nicht: Es fehle der Nachweis der Wirksamkeit
Es sieht aus wie ein Kopfhörer, wird aber hinter den Ohren, am Schädelknochen angesetzt: DasMessgerät fürs „Knochen-Hören“. Benutzt wird es in der Diagnose der Tomatis-Methode, die Gehör- und Verhaltens-Störungen therapieren soll. Der in Deutschland weitgehend unbekannten Methode haben sich auch zwei Bremer Ärzte verpflichtet.
Hört jemand schlecht, muss das nicht unbedingt anatomische Ursachen haben, sondern kann auch psychisch bedingt sein: „Eine Kommunikationsverweigerung ist oft ein Bestandteil komplexer Krankheitsbilder“, erläutert Marion Berndt, Verfechterin der Tomatis-Methode. Die Audio-Psycho-Therapeutin hat jetzt gemeinsam mit einem Arzt eine Praxis in Lilienthal eröffnet.
Der Pariser Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Alfred A. Tomatis stellte Ende der 50er Jahre die These auf, dass Fehlfunktionen des Gehörs und Verhaltensstörungen miteinander zusammenhängen. Sowohl Hör- als auch Verhaltensprobleme ließen sich, so Tomatis’ Schlussfolgerung, also über das Ohr therapieren. „Krankheiten wie Autismus und das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom bei Kindern sowie psychische Probleme oder Schlafstörungen erwachsener Patienten lassen sich mit der Audio-Psycho-Phonologie behandeln“, sagt Dirk Beckedorf. Er ist der andere Bremer Arzt, der mit der Methode aus Frankreich arbeitet.
Die Tomatis-Therapeuten setzen in ihrer Arbeit die Musik Mozarts ein und die Stimme der Mutter des Patienten. Die Klänge werden von einer Anlage, dem so genannten elektronischen Ohr, gefiltert, so dass nur hohe Frequenzen übrigbleiben. Die so wahrgenommenen Laute sollen der Wahrnehmung des Embryo im Mutterleib ähneln und sowohl auf Kinder als auch auf Erwachsene eine beruhigende Wirkung haben. Diese akustische Rückführung in den Mutterleib endet bei erfolgreichem Verlauf der Therapie mit der „akustischen Geburt“: Der Patient darf wieder ungefiltert die Klänge von Mozart hören.
Tomatis selbst arbeitete zunächst mit berufsbedingt Schwerhörigen, aus deren Beobachtung heraus er seine Theorie herleitete. Er stellte fest, dass das Hören die Stimme beeinflusst und dass man nur die Frequenzen hören kann, die auch in der eigenen Stimme enthalten sind. In der Therapie gilt es, diesen Kreislauf positiv zu beeinflussen: Durch das Hören gefilterter Geräusche sollen der Gehörsinn, die Gehirnaktivität und die Stimme verbessert werden. Neben der Behandlung ernsthaft Erkrankter wird die Methode gezielt bei Schauspielern und Sängern eingesetzt, die ihre Stimme trainieren wollen: „Die Callas hat sich von Professor Tomatis selbst behandeln lassen“, sagt Marion Berndt.
Dass nicht jeder eine Tomatis-Therapie macht, liegt nicht zuletzt daran, dass die Kosten sowohl in Deutschland als auch in Frankreich nicht von den Kassen getragen werden. „Die Tomatis-Methode ist weder in den Therapie-Leitlinien aufgeführt, noch ist ihre Wirkung wissenschaftlich bewiesen – ich halte sie nicht für wirkungsvoll“, kommentiert Stefan Kette, Sprecher der Bremer Fachärzte für Kinder- und Jugendtherapie.
Für Dirk Beckedorf hat die Zurückhaltung der Krankenkassen jedoch andere Gründe: „Die deutschen Krankenkassen sparen ja schon bei traditionellen Behandlungsmethoden, eine Alternative wie die Audio-Psycho-Phonologie hat es da schwer.“ In der Schweiz werde schon seit 25 Jahren nach Tomatis therapiert und dies sei als Kassenleistung anerkannt.
Wie die AOK bestätigt, könne jedoch in Einzelfällen eine Behandlung vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen befürwortet werden. Zweimal allerdings habe das Landessozialgericht in Nordrhein-Westfalen eine Übernahme der Therapie-Kosten durch die gesetzlichen Kassen abgelehnt, da kein Nachweis der Wirksamkeit erbracht werden konnte.
Miriam Burgheim