piwik no script img

■ HörTipMit fremden Ohren

„Hörspiel“, BR2, 22.05 Uhr

Es gibt den Hörspielpreis der Kriegsblinden, und es gibt ein Hörspiel über Gehörlose. In Art eines O-Ton-Features hat sich Wolfgang Müller, ehemals Mitglied der Tödlichen Doris, von Menschen, die nichts oder nur schwer hören, erzählen lassen, wie sie die Welt der Sprache wahrnehmen. Manchmal werden die Redebeiträge von tief brummelnden Baßtönen unterbrochen, mit denen der Experimentalmusiker Holger Hiller die Gespräche nachbearbeitet hat: Ähnlich diffus, verschwommen oder monoton häufen sich Geräusche und Töne in den Ohren von Gehörlosen. Manchmal gehen sie dazu auch in der Disco tanzen.

Sorgsam folgt Müller den Lebensgeschichten seiner Interviewpartner. In einem irgendwie sehr holländisch klingenden Akzent klagt Andreas Costrau darüber, daß er oft als taubstumm bezeichnet wird, obwohl er doch gar keine Probleme mit dem Sprechen hat. Er empfindet es als Diskriminierung: „Wenn einer ,aah‘ sagen kann oder ,ähh‘ oder wenn einer einen Laut hervorbringen kann, ist er noch lange nicht taubstumm.“ Dann wird es plötzlich still im Raum. Nach einer Weile fährt Andreas mit seiner Erzählung fort – er hatte sich kurz mit einem gehörlosen Freund über Tanzmusik unterhalten, in Gebärdensprache.

Die meisten Stimmen klingen ungewohnt brüchig, ihr Rhythmus, die Betonung der Silben sind anders als im alltäglichen Redeschwall. Gunther Puttrich Reignard rutschen die Laute manchmal in ein helles Falsett. Daraus ergibt sich eine sehr eigene Melodie aus knarrenden Vokalen und zitternder Begleitluft, die Worte formen sich in einem unruhig flatternden Auf und Ab der Atmung, wie HipHop-Reime. Es hängt mit der Erziehung zum Sprechen zusammen: Gehörlose lernen sprechen meist über das Fühlen. Vorsichtig müssen sie sich an den Klang der Wörter über die Schwingung herantasten, die am Kehlkopf entsteht.

Alles in ihrem Leben ist so Bewegung, selbst Musik wird in Gebärden vorgetragen. Auf die Frage, ob dabei Lieder einfach übersetzt werden, meint Andreas, daß sich in seiner Sprache nicht Töne noch Worte, sondern nur Gebärden reimen. Abstrakt ist das kaum.Harald Fricke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen