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"Hitchcock"-Tatort aus BerlinBratei hin, Gürkchen her

Zu viel ferngesehen? Eine alte Dame beschuldigt ihren Nachbarn, nach Hitchcock-Manier seine Frau ermordet zu haben. Kommissar Ritter und sein Kollege ermitteln trotz Zweifel (Pfingstmontag, 20.15 Uhr).

Die wachsame Frau am Fenster zum Hof: Frau Wernicke will ihren Nachbarn bei einem Mord beobachtet haben. Bild: ard

Es gibt Dinge, die kriegen einfach nur Frauen jenseits der 70 hin. Falschen Ritter braten zum Beispiel oder Schinkenbrot mit Gürkchen drapieren. Kein Wunder, dass Kommissar Ritter (Dominic Raacke) ein wenig der gehbehinderten Frau Wernicke (Barbara Morawiecz) verfällt, als er da nachts von ihrer Küche aus eine gegenüberliegende Wohnung observiert. Ein bisschen Schuldgefühle sind vielleicht auch mit im Spiel, schließlich verrät der Polizist der alten Dame, dass er seine eigene Mutter zwei Jahre vor deren Tod das letzte Mal besucht habe.

Jedenfalls scheint Ritter nicht mehr die angemessene kritische Distanz auszubringen gegenüber Frau Wernicke, die behauptet, den Weinhändler Benkelmann (Hans-Jochen Wagner) von gegenüber dabei beobachtet zu haben, wie der erst seine Frau vergiftet habe, um dann mit zwei verdächtig großen Eisenkoffer die Wohnung zu verlassen. Ein Plot (Buch und Regie: Klaus Krämer), der frappierend an Alfred Hitchcocks Krimi-Klassiker „Fenster zum Hof“ erinnert, der zufälligerweise am Abend zuvor im Fernsehen lief und den sich Frau Wernicke in ihrer Billig-TV-Zeitschrift auch rot eingekringelt hatte.

Es ist deshalb – Bratei hin, Gürkchen her – schwer nachzuvollziehen, weshalb Ritter und sein Kollege Stark (Boris Aljonovich) sofort diese unglaubliche Ermittlervehemenz an den Tag legen, obwohl der beobachtete Mord doch tatsächlich nur der durch den Fernsehkonsum angekurbelten Fantasie der alten Dame entsprungen sein kann. Zumal der von des Mordes angeschwärzte Weinhändler sämtliche Beschuldigungen entkräften kann – wenn er auch darauf verweisen muss, dass seine Frau gerade im Nachtzug nach Lissabon sitze und deshalb erst ab Morgen in ihrem portugiesischen Hotel zu sprechen sei.

Ebenso schwer nachzuvollziehen ist es, weshalb der Sender RBB Hitchcocks Voyeurismusklassiker als Verweissystem heranzieht – ohne das darin so kunstvoll und komplex ausgeführte Thema Schaulust zu verhandeln. Nichts gegen die traurigen Geschichten von Frau Wernicke, die stellvertretend allen auf ihren Stützkissen gebetteten Spanner-Fratzen jenseits der 70 ein menschliches Antlitz gibt – aber was für ein Reichtum urbanistischer Impressionen mit dieser Hitchcock-Variation doch verschenkt wird!

Wo bei „Fenster zum Hof“ in jeder fremden Wohnung eine spannende Geschichte zu lauern scheint, bleibt hier die gegenüberliegende Fensterfront frei von jedem Geheimnis. Oder noch deutlicher formuliert: Wo beim Original die Gier aufs Zuschauen reflektiert und zugleich befeuert wird, da fallen einem im Dämmerlicht von Frau Wernickes Wohnküche die Augen zu.

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5 Kommentare

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  • T
    Tatze

    Hier irrt der Gucker. Korrekterweise müsste es heißen: "Danke rbb für 84 großartige Minuten". Denn: Bis dahin war dieser Tatort zwar immer noch nicht kritisch gegenüber dem Phänomen Voyeurismus, aber doch immerhin immens spannend und irgendwie auch sympathisch abgedreht. Aber: dass dann fünf Minuten vor dem Abspann eine bisher nicht einmal in Erscheinung getretene Mittäterin präsentiert wird, die dann noch das alte "Sieht-aus-wie-die-zerstückelte-Ex-des-Mörders-und-gibt-sich-für-sie-aus"-Spiel spielen muss und dann auch noch zu allem Überfluss das schon 532 mal verwendete Motiv herhalten muss ist ganz ganz arm. Chance vertan!

  • SB
    Sascha Bachmann

    Genau! Wieso muss man die Themen des zitierten Films denn übernehmen? Das machen die Simpsons auch nicht und sind trotzdem großartig in ihren kleinen Anspielungen auf große Spielfilme.

     

    Ich muss sagen: Endlich ein Tatort, bei dem nicht das klassische Muster abläuft. Ein Blumenstrauß an Verdächtigen, jedeR ist mal mehr, mal weniger der Täter und dann kommt die Auflösung. Hier war der Mord selbst bis zum Ende ein Rätsel - großartig! Mal von der Erzählweise abgesehen, die wirklich schön ist und dieses Gefühl einer Wohnung genau einer solchen Frau Wernicke sehr gut wiederspiegelt.

     

    Übrigens ist die Antwort einfach, wieso die beiden solchen "Ermittlereifer" an den Tag legen. Stark hat Schuldgefühle, weil er irgendeine Akte von Ritter verschlampt hat und Ritter hat Schuldgefühle, weil er seine Mutter vor ihrem Tod zwei Jahre lang nicht gesehen hatte und da eine Mutterfigur vor ihm stand, da konnte er nicht einfach die Zweifel, die Benkelmann offensichtlich durch sein Verhalten aufwarf, ignorieren.

     

    Nochmal schön: Die Wörter "perfektes Verbrechen" sind nie gefallen, nur am Ende ein Bezug auf den Perfektionismus von ihm. Eben wie der Mord.

     

    Wirklich ein gelungener Tatort. Ich muss doch in der taz-Redaktion Menschen geben, die sich einem solch ruhigem Film (ohne SEK und Hubschrauber, sehr schön!) hingeben können. Wird schon.

  • KR
    K Rascher

    Ich stimme Person Gucker und Nope voll zu. Vor allem hat mir gefallen, dass es kaum Hintergrundsmusik (in den meisten Tatorten viel zu laut um den Dialog zu folgen) gab. Es war menschlich spannend ohne den Lärm und ohne zu viel hin und her. Mehr solche Tatorte wäre angenehm. Bird

  • N
    Nope

    Ich kann dieser Kritik absolut nicht zustimmen!

    Ich brauche das "reale Leben" nicht auch noch unbedingt im TV. Reales Leben hab ich täglich mehr als genug. Ich nutze das TV zur Entspannung, es soll mich unterhalten, mir Geschichten erzählen, mich zum Träumen bringen und vom Alltag ablenken. Und der Tatort war schließlich ein Krimi und keine Doku! Mit hat es jedenfalls sehr gut gefallen und hat bei mir genau das bewirkt, wofür es auch sicherlich auch gedacht war.

  • G
    Gucker

    Es muss sich um journalistische Eiferei handeln, einen Tatort, der ohne SEK-Einsatz, Rumgebrülle und Verfolgungsjagden auskommt, gleichzeitig aber schauspielerische Stärken und eine spannende Geschichte so stilvoll und hochspannend verknüpft derartig duchfallen zu lassen. Danke rbb für 89 großartige Minuten.