piwik no script img

Historiker über deutsche Gedenkkultur"Denken statt denkmalen"

Im 19. Jahrhundert nannte man es "Denkmalwuth", anfang des 20. "Denkmalseuche": Der Historiker Wolfgang Wippermann kritisiert die Liebe der Deutschen zu Bildern und Statuen.

Die Neue Wache in Berlin - der Teil von Helmut Kohls Kuhhandel. Bild: reuters

Gustav Heinemann, der am meisten unterschätzte Bundespräsident der BRD, sagte einmal, die Deutschen hätten "ein schwieriges Vaterland". Wie schwierig und peinlich der Umgang damit oft war und ist, zeigt der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann anhand der Geschichte nationaler Denkmäler, Kriegerdenkmäler und anderer Stätten der Sinnstiftung von oben.

Im Grunde ist die bis heute anhaltende Denkmalkonjunktur - bereits 1878 sprach man in Deutschland von einer "Denkmalwuth" und 1918 von einer "Denkmalseuche" - eine irritierende Erscheinung. Denn Bilder und Denkmäler bedeuten laut Bibel heidnischen Götzendienst.

Richtig Schwung bekam der Denkmalbau auch erst im 19. Jahrhundert. Der bayerische König Ludwig I. träumte von einer deutschen Kulturnation und ließ 1807 bei Regensburg eine "Ruhmeshalle für deutsche Geisteshelden" bauen. So genau nahm man es freilich mit dem Deutschsein der Helden nicht und stellte auch viele legendäre germanische Häuptlinge aus (Geiserich, Alarich, Totila) sowie Schweizer (Niklaus von Flüe) oder Litauer (Ernst Gideon Frh. von Laudon). Nur jüdische Deutsche hatten zu keiner Zeit eine Chance, deutsche Geisteshelden zu werden.

Mit der Reichsgründung von 1870/71 wurden die Denkmäler nationalisiert. Sie galten nicht mehr den Helden der Kulturnation, sondern zunächst jenen der Staats-, später jenen der Blutsnation. Die kolossalen Denkmäler für Hermann/Arminius im Teutoburger Wald, für Germania bei Rüdesheim und für den Reichsgründer Wilhelm I. im Kyffhäuserwald waren wie alle Nationaldenkmäler in Europa "mehr oder minder chauvinistisch und bellizistisch".

Bild: taz

Diesen Text und viele andere mehr lesen Sie in der sonntaz vom 6./7. November 2010. Ab sofort mit noch mehr Seiten, mehr Reportagen, Interviews und neuen Formaten. Die sonntaz kommt jetzt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo.

Sie wurden zu nationalen Wallfahrtsstätten und behielten bis heute eine zumindest touristische Bedeutung. Zahlreicher als die nationalen Denkmäler waren im Kaiserreich die Kriegerdenkmäler, die Bismarck-Denkmäler und -türme und die 300 Statuen für Wilhelm I.

Bereits der preußische König Friedrich Wilhelm III. versprach nach den sogenannten Befreiungskriegen von 1813/15 jedem gefallenen Soldaten ein kleines Denkmal in der Regimentskirche mit der Widmung "Er starb für König und Vaterland". So kamen schnell 100.000 Kriegerdenkmäler zusammen.

Nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg ergänzte man die Namen der Toten von 1870/71 einfach mit "1914/1918" bzw. "1939/1945".

Statt der Opfer des Nationalsozialismus gedachte die SED der "Kämpfer gegen den Faschismus". In der Bundesrepublik brachte man im Gegenzug Erinnerungstafeln für die "Toten von Krieg und Gewaltherrschaft" an, wobei Soldaten, Kriegsverbrecher und Zivilisten vermengt wurden und obendrein das "Leichenberge" produzierende NS-Regime mit der DDR-Diktatur, die vor allem "Papierberge" (Ulrich Herbert) hervorbrachte, auf eine Stufe gesetzt wurde.

Berliner Kuhhandel

Wippermann stellt mit Recht fest, dass nie gefragt wurde, ob Denkmäler geeignet seien, Verbrechen wie die der Nazis angemessen zu dokumentieren.

Stattdessen ließ man sich auf einen Kuhhandel ein. Helmut Kohl erhielt mit der Neuen Wache in Berlin die "Zentrale Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft", und der Zentralrat der Juden setzte sich durch mit dem Wunsch nach dem Holocaustdenkmal am Brandenburger Tor.

Das rief den berechtigten Protest anderer Opferverbände (Sinti und Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Deserteure) auf den Plan und die Forderung nach weiteren Denkmälern.

Wippermann setzt diesem Wettlauf um Denkmäler die Forderung entgegen, darüber nachzudenken, ob demokratische Gemeinwesen überhaupt Denkmäler brauchen, die doch nur der nachträglichen Sinnstiftung für Kriege und der Verherrlichung des Todes oder des Opfers dienen.

Die temperamentvoll geschriebene Studie Wippermanns öffnet die Augen für manche peinlichen Unebenheiten in der deutschen Denkmalgeschichte. Sein Rezept: "Stoppen wir den Denkmalwahn. Denken statt denkmalen!"

Wolfgang Wippermann: "Denken statt denkmalen". Rotbuch Verlag, Berlin 2010, 189 Seiten, 9,95 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!