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Historiker Judt"Es gibt es eine Israel-Lobby in USA"

Die Autoren Mearsheimer und Walt haben eine nötige Debatte in Gang gesetzt, meint Historiker Judt. Nun werde diskutiert, ob sie Antisemiten sind - und nicht, ob sie Recht haben.

"Israel hat starken Einfluss auf die US-Politik": Nationalfahne im Sonnenuntergang Bild: dpa

taz: Herr Judt, verbreitet das Buch "Die Israel-Lobby" von John Mearsheimer und Stephen M. Walt eine antisemitische Verschwörungstheorie?

Tony Judt: Nein, ganz und gar nicht.

Manche Leute sind aber sehr vehement dieser Meinung.

Die haben es entweder nicht gelesen oder schon vorher gewusst, was sie davon halten müssen. Es ist erstens keine Verschwörungstheorie und es ist zweitens nicht antisemitisch. Sicherlich, es behauptet, dass die Israel-Lobby sehr erfolgreich darin war, die US-Außenpolitik zu beeinflussen. Aber das ist ja nicht im Geheimen passiert - also eine Verschwörung sieht anders aus.

Aber spielen die Autoren nicht mit Stereotypen - etwa dem Stereotyp vom Juden, der illoyal ist, weil seine ganze Loyalität Israel gehört?

Unglücklicherweise haben manche Stereotype eine Prise Wahrheit. Die Funktionäre der Organisationen, die den Anspruch erheben, die US-Juden zu repräsentieren, haben tatsächlich immer die Frage im Kopf: Was ist gut für Israel? Gerade stand Abraham Foxman, der Direktor der Anti-Defamation League, im Kreuzfeuer der Kritik, weil er es ablehnte, den türkischen Völkermord an den Armeniern ein "Genozid" zu nennen. Warum hat er das nicht tun wollen? Weil die Türkei ein Freund Israels ist. Das heißt nicht, dass Leute wie Foxman schlechte Amerikaner sind. Aber es zeigt, dass sie immer das Interesse Israels im Kopf haben. Nur: Das gilt für die Funktionäre, für die allermeisten jüdischen Amerikaner gilt das nicht.

Warum sind die Führer der offiziellen Organisationen derartig pro Bush, während die jüdische Bevölkerung mehrheitlich liberal ist?

Die Mehrheit der US-Juden sind auf Seiten der Demokraten. Die Führer der organisierten Gruppen waren es gewohnt, in Opposition zu den US-Präsidenten zu stehen. Und mit George W. Bush war das plötzlich anders. Plötzlich gab es keine Kritik an Israel mehr. Sie hatten das Gefühl, direkten Zugang zur Macht zu haben. Ein Präsident mit ziemlich extremen Anschauungen hat sie geradezu adoptiert. Dadurch werden sie aber auch ermutigt, selbst extrem zu sein.

Aber wieso kommen sie damit durch?

Sie können Kritiker schrecken und einschüchtern, weil sie sehr effektiv Kampagnen steuern.

Die Öl- oder Waffenlobby kann ihre Parteigänger mit Geld belohnen, aber sie kann ihre Gegner nicht einschüchtern. Warum soll das die Israel- Lobby können?

Die Waffenlobby ist aggressiv und kann Abgeordneten ganz schön in Bedrängnis bringen. Aber sie würde zumindest nicht abstreiten, dass es sie gibt. Vor fünf Jahren konnte man kaum sagen, dass es überhaupt eine Israel-Lobby gibt. Und warum? Weil sie sofort mit dem Antisemitismusvorwurf kommt. Wer sie kritisiert, muss damit rechnen, dass man ihm vorwirft, er habe keine Sensibilität für die Tragödie des jüdischen Volkes. Und für die meisten Politiker hat es einfach keinen Sinn, sich dieser Gefahr auszusetzen. Die meisten Abgeordneten sind keine Juden, die meisten kommen aus Bundesstaaten, in denen praktisch keine Juden leben. Und die meisten sind mit Innenpolitik befasst. Das heißt, sie haben mit dem Thema nichts am Hut und kein Interesse, mit dieser Lobby Probleme zu bekommen.

Ändert sich das jetzt?

Ja. Seit dem Buch von Mearsheimer und Walt diskutiert man über das Thema. Leider diskutiert man, ob die Autoren "antisemitisch" sind und zu wenig, ob sie recht haben.

Die Autoren schildern eine Lobby, die nur die Interessen Israels im Kopf hat. Das ist doch etwas zu simpel, oder?

Gelegentlich formulieren die Autoren zu plump. Aber lassen Sie mich das so sagen: Seit fünfzig Jahren reiht sich in der US-Nahostpolitik ein Fehler an den nächsten. Dafür gibt es eine Reihe von Ursachen. Nur: Die Israel-Lobby hat die Sache leider noch viel, viel schlimmer gemacht. Früher hat sich die US-Politik aus schlechter Machtpolitik in die Sackgasse begeben, aber jetzt macht sie das auch noch mit moralischen Argumenten, garniert mit großen Ideen.

Aber es ist doch nicht so, dass Israel die US-Politik bestimmt. Wedelt der Schwanz wirklich mit dem Hund?

Nein. Es geht in beide Richtungen. Israel hat starken Einfluss auf die US-Politik - aber Israel kann auch nichts machen, wenn die USA nicht zustimmen.

Kann es sein, dass die Debatte über die Israel-Lobby, so nötig sie sein mag, doch dem Antisemitismus Auftrieb gibt?

Ich glaube nicht, dass wir den Antisemitismus fördern, wenn wir eine offene Debatte führen. Den Antisemitismus fördern wir, wenn wir auf der einen Seite moralische Imperative aufstellen und gleichzeitig eine kritische Debatte über die israelische Politik unterdrücken, wenn wir ein künstliches Schweigen erzwingen.

INTERVIEW: ROBERT MISIK

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3 Kommentare

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  • PH
    Peter Heinz

    Großartiges Buch! Endlich traut sich jemand zu sagen, was Sache ist. Und nein, ich bin kein Antisemit!

  • B
    B.Z.

    Eine kritische Rezension des Buches war ja von der taz ohnehin nicht zu erwarten. Dass aber ausgerechtet Judt - der sich in der Debatte eh eindeutig auf Seiten den beiden Autoren positioniert hat - zu dem Buch befragt wird und ihm pünktlich zum 11.9. das jüdische Gütesigel "garantiert nicht antisemitisch" abverlangt wird, ist nicht nur langweilig, sondern auch armselig.

  • AZ
    A. Z.

    Lobbyismus, sagt das Lexikon, ist Interessenvertretung. Das passt schon, sage ich. Die Vertreter von Interessen wirken nämlich mitunter, als hätten sie ganz genau so wenig Ahnung von den tatsächlichen Bedürfnissen ihrer ?Kunden?, wie Staubsauger- oder Versicherungs-Vertreter. Sie sind persönlich weniger am Produkt selbst, als an dessen Absatz interessiert und um diesen Absatz zu befördern, wecken sie notfalls auch Bedürfnisse, die bislang (zu Recht) gar nicht vorhanden gewesen sind. Sie wissen, dass sie zwecks Absatzsteigerung möglichst vertrauenerweckend WIRKEN müssen. SEIN müssen sie gar nichts. Den meisten Vertretern hat man offenbar bei Strafe der geschäftlichen Eliminierung verboten, in der Öffentlichkeit auch nur ein einziges schlechtes Haar zu finden am zu vertretenden Produkt. Weil es aber die einseitige Medaille auf dieser Welt nicht gibt, denk über sein Produkt besser gar nicht erst nach, wer einen derartigen Arbeitsauftrag erhält. Und wer nicht nachdenkt, macht viele Fehler. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Vielleicht liegt es daran, dass ich Lobbyisten aller Art ziemlich reserviert gegenüber stehe: sie wissen meiner Auffassung nach all zu oft nicht oder zumindest nicht genau, was sie warum für wen eigentlich tun (wollen). Was Wunder, wenn man beim Betrachten der Ergebnisse ihrer Tätigkeit so oft das Gefühl hat, die angeblichen Lobbyisten hätten ihre angeblichen Interessen nicht vertreten, sondern verraten. Verraten und verkauft.