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Archiv-Artikel

His Kanzlers Voice

Ist Elmar „Steuersong“ Brandt besser, als Guildo Horn oder Stefan Raab es waren?

von JAN FEDDERSEN

Muss der sich geärgert haben, dieser Elmar Brandt. Sagte doch Harald Schmidt bei Beckmann, eben vor Weihnachten, zum zweitgrößten Hit des just abgelaufenen Jahres, also zum „Steuersong“: Der sei „ja nicht gut“, ja, nur „zusammengekloppt“ und schiele „zu sehr auf die Zustimmung der Masse“. Des Verdikts kein Ende, denn überhaupt sei Elmar Brandt „nicht virtuos im Text“, weshalb „der Kanzlersong in vier bis sechs Wochen durch“ sei. Alles in allem, schnarrte der frühere Akteur des Düsseldorfer Kom(m)ödchens dem erwartbar eifrig nickenden Reinhold Beckmann entgegen, sei es doch so: „Auf eine bestehende Melodie einen Text draufsetzen – jedes einigermaßen gute Kabarett lehnt so etwas ab.“

Als ob Elmar Brandt, 31 Jahre, und sein Kumpel Peter Burtz je daran gedacht hätten, mehr zu sein, als sie eben sind: Berufstätige im Comedysektor. Letzterer war vor fünf Jahren auffällig als Entdecker Guildo Horns, Brandt selbst fand zu seiner Bestimmung vor zwölf Jahren, als er während einer Party mehr schüchtern als selbstbewusst Helmut Kohl imitierte. Der zufällig anwesende Stefan Raab, damals noch kein big name der Branche, hörte es und sprach, er habe Talent und könne gewiss damit Geld verdienen. Ein folgenreiches Lob, denn Brandt begann zu ahnen, dass seine Scherze just auf Partys Stimmungshebern gleichkommen.

So begann er seine Begabung der Prominentenstimmenkopiererei zu verfeinern, übte den Schwarzenegger, die Steffi Graf, den Herbert Wehner, den Heinz Sielmann, den Kohl und beherrscht neben diesen Stimmen auch gut vier Dutzend andere – perfekt zum Wiedererkennen, immer einen Lacher auf seiner Seite und kein bisschen gebildet. Was zählt, sind die Lacher der tiefer gelegten Sorte. Und das zu sagen ist ja nicht böse gemeint. Was kann denn ein harmloser Künstler wie Elmar Brandt dafür, dass eine natürlich-joviale Figur wie Gerhard („der Gerd“) Schröder sich über einen wie ihn, leutselig und des Volkes Stimmung seismografisch feinsinnig auf der Spur wie sein Kanzler, so aufregt? Ambitionen für die höheren Weihen des Kabaretts, für den Aufstieg in die besseren Kreise, hatte er, jedenfalls nach allem, was man von ihm hört und kennt, ja nie.

Insofern konnte ihm die jüngste Nörgelei Harald Schmidts auch gleichgültig bleiben, auch die der Titanic, der Süddeutschen Zeitung oder der Welt – und er hat sich eben nicht vor Scham auf den Boden geworfen, weil er bei Beckmann zum Doofi erklärt wurde. Vielmehr war er im Gespräch, und darauf muss es einem wie ihm ankommen. Und das war er ja oft. Was erklärt, dass Elmar Brandt mit seinem Beruf im vorigen Jahr die zweitbestverkaufte Single in deutschen Landen aufgenommen hat. Mehr als eine Million Exemplare – wo doch schon ein Song, der als Single mehr als zwanzigtausend Tonträger verkauft, in der Musikindustrie als Megaseller verbucht wird.

„Der Steuersong“ – ein fast extraterrestrisches Ereignis, als Tonspur zur Zeit nur vergleichbar mit früheren Jahreshits wie „Lambada“ (Lebensfreude à la Weltmusik), „Hoch auf dem gelben Wagen“ (Bundespräsident Scheel volksverbunden) oder Wums Lied „Ich wünsch’ mir ’ne kleine Miezekatze“ (der Deutschen Liebe zum Haustier). Und so kam es, dass Elmar Brandt über die Parodie auf den Kanzler zu schönem Wohlstand gekommen ist. Wogegen ja nichts einzuwenden ist, schließlich gab der Künstler ja nur dem Unmut der um den klammen Geldbeutel fürchtenden Mittelschichten (und ihrer Freunde) ästhetischen Ausdruck.

Kein Wunder, dass die Bild-Zeitung, nicht minder empfindsam für die Aufwallungen im Volk, Elmar Brandt auserkor, ihn zum deutschen Vorentscheid zum Grand Prix Eurovision zu schicken. Und der gelobte Mann wusste, was sich professionell geziemt (fünfzehn Millionen Zuschauer am 8. März, garantiert!) – und sagte zu.

Doch nun muss man um ihn fürchten. Denn es ist ja nicht sicher, dass in neun Wochen Schröder und die Seinen immer noch die Antihelden sind. Weshalb sollte Schröder demoskopisch nicht wieder ganz oben in den Politcharts stehen – immerhin haben ihn ja am 22. September die meisten Deutschen für ziemlich okay befunden. Und sicher scheint doch auch, dass die Deutschen ihren Gerd vielleicht für einen Sponti halten, einen Aufsteiger ohne intellektuelle Finesse, für einen Sozialdemokraten (Müntefering!) sogar. Aber damit ist er ja einer von ihnen, über alle weltanschaulichen Grenzen hinweg– und deshalb nicht unbegrenzt als Objekt des Spotts geeignet.

Denn mit was kann Elmar Brandt am 8. März seinen freundlich-hämischen Hit noch steigern? Mit einem Lied auf Angela Merkel? „Äingie“ vielleicht? Dann bekäme er nur Stimmen aus Friedrich Merzens Sauerland und sozialdemokratischen Hochburgen. Oder will der Mann vielleicht einen gewöhnlichen Popsong interpretieren, einen, der sich um die klassischen Themen wie Liebe & Sex dreht? Aber will das jemand hören? Von einem jungen Mann ohne Glanz und von dem obendrein ein Lebenslauf zu notieren ist, der sich um Tugenden wie Fleiß und Strebsamkeit, wenngleich charmant abgefedert von einer gewissen Scheu, rankt? Der, alles in allem, aussieht wie John Boy Walton auf Deutsch?

Lieb und freundlich, einer, der Omas ohne fiese Gedanken über eine sechsspurige Stadtautobahn zu gehen hilft? Der eine Aura verströmt, die Bilder von Umgänglichkeit und Hilfsbereitschaft provoziert? Der keinen Neid weckt, mehr ein Golden Retriever des Zeitgeistes ist als ein Schäferhund der ätzenden Regierungskritik? Dem selbst, das ist ja die traurige Pointe, ein Kanzler Beifall spenden täte, wenn der Song nicht um ihn selbst ginge, weil Elmar Brandt eben ein junger Mann des Stoßseufzers ohne wirklich aggressive Attitüde ist?

Man muss sich, wie die Dinge liegen, um Elmar Brandt Sorgen machen. Er hatte einen wunderbaren Spätherbst, kommerziell ohnehin, und die allgemeine Wertschätzung wird ihm gut getan haben. Aber ihm bald erinnerlich werden, dass der Schützling seines Textautors Peter Burtz beim Grand Prix Eurovision zum Zenit fand – und danach zur nostalgieartigen Belanglosigkeit abrutschte: Guildo Horn.

Also der geniale Kreuzzügler der Liebe des Jahres 1998. Der seinen Marsch in den Arenen der Republik begann, ihn beim Grand-Prix-Vorentscheid in Bremen fortsetzte und schließlich in Birmingham mit einem fulminanten Auftritt zu seinem Jerusalem fand.

Aber der konnte singen. Performen. Charmieren. Ja, selbst Menschen becircen, die sonst auf Prosecco und Ciabatta als Lebensstilelemente halten und nicht auf proletiges Himbeereis an Nussecken. Und dann, wie erwähnt, karrieremäßig verglühte: War das grandios!

Elmar Brandts Kreuzzug ist am Ende. Riga wird ihm verschlossen bleiben.