■ VORABENDS IM CINEMA:: Hippies unter Yuppies
Zwei zottelige Hippies, wie aus den tiefsten Siebzigern, in selbstgestrickten Pullovern und mit Joints, die auf dem Buchdeckel von Lenins Schriften gedreht werden: Das sollen die Hauptpersonen und Sympathieträger des Filmes sein?
Zuerst ist man noch skeptisch, ob man diesen etwas lächerlichen Gestalten einen ganzen Film über dabei zusehen will, wie sie sich im England der Thatcher-Ära mehr schlecht als recht über Wasser halten. Aber Regisseur Mike Leigh gelingt es sehr schnell, diese Altrebellen als warmherzige, kluge und humorvolle Menschen darzustellen, und die tatsächlichen Witzfiguren des Filmes sind die ganz modernen Nutznießer der Thatcherpolitik. Ein snobistisches Yuppiepaar mit infantilen Sexspielchen zwischen Diner und Oper, oder die geschmacklosen Angebereien eines neureicher Kleinunternehmers und seiner hysterischen Ehefrau werden von Leigh gnadenlos karikiert.
Eine alte Oma, die nur noch apathisch vor sich hin lebt, steht für die Opfer des Thatcherism. Weil sie beim Einkaufen den Schlüssel im Haus vergessen hat, kommt es zu den tragikkomischen Verwicklungen, die wie in einer Farce die Personen zusammenführen.
Leigh ist dabei das Kunststück gelungen, ein deprimierendes Bild des Englands von heute zu zeichnen, in einem Film, der nichts Deprimierendes an sich hat. Seine Mischung von Karikaturen mit der Bosheit von „Spitting Image“ und feinfühlig melancholischen Szenen macht „High Hopes“ zu einem der besten europäischen Filme der letzten Jahre. Aber trotz drei europäischer Filmpreise und des Kritikerpreises von Venedig kam er kaum in deutsche Kinos.
Das Kommunalkino zeigt die einzig verfügbare Kopie, im Original und leider ohne Untertitel. Aber es lohnt sich trotzdem. Alleine schon um zu sehen, wie es dem Regisseur gelingt, heutzutage zwei Menschen zum Grabstein von Karl Marx pilgern und dort über Politik reden zu lassen, ohne daß es auch nur in entferntesten lächerlich wirkt. Wilfried Hippen
„High Hopes“ von Mike Leigh, täglich im Cinema um 18.30 Uhr
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