■ Hintergründe des nordirischen Friedensprozesses: Gesten statt Substanz
Der Streit unter den Beteiligten am nordirischen „Friedensprozeß“, der am Dienstag offen zutage trat, ist in Wahrheit eine kosmetische Übung. Sowohl die Regierungen in London und Dublin als auch Sinn Féin und die Unionisten spielen im gleichen Theaterstück – nur vor anderem Publikum. Der britische Premierminister John Major hat dabei eine Doppelrolle: einerseits stellt er immer neue Bedingungen an die IRA und hält Sinn Féin hin, um den rechten Tory-Parteiflügel und die moderateren nordirischen Unionisten nicht zu verprellen; andererseits wirft er den extremen Protestantenpfarrer Ian Paisley aus der Regierungsstube in der Downing Street, um bei der Dubliner Regierung Vertrauen zu erwecken.
Paisley kam der Rausschmiß gar nicht ungelegen, muß er sich doch vor den radikalen Protestanten profilieren, nachdem ihm von dort schon „Feigheit vor dem Feind“ vorgeworfen wurde. Paisley war schon in den sechziger Jahren ein typischer Schreibtischtäter, der Menschen durch Hetzreden und das Schüren von Ängsten und Vorurteilen zu Gewalttaten angestachelt hat, ohne sich selbst dabei die Hände schmutzig zu machen.
Dem irischen Premierminister Albert Reynolds fällt – sicherlich mit Majors Billigung – in dem Stück die Rolle des Pragmatikers zu, der Sinn Féin an den Verhandlungstisch bittet, um die IRA bei der Stange, das heißt der Waffenruhe, zu halten. Der Verhandlungstisch mußte freilich erst in Form des „Forums für Frieden und Versöhnung“ erfunden werden. Daß er lediglich Symbol-, jedoch keine Entscheidungskraft haben wird, ist dem Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adams egal. Er muß schnell Erfolge vorweisen, ist doch inzwischen durchgesickert, daß sich fast ein Drittel der IRA-Mitglieder vehement gegen einen Waffenstillstand ausgesprochen hat.
So besteht der Friedensprozeß zur Zeit aus einer Politik der Gesten. Weitere werden folgen: Die Zensur von Sinn-Féin-Mitgliedern im britischen Radio und Fernsehen wird bald aufgehoben, Adams wird nach Großbritannien einreisen dürfen, die politischen Gefangenen erhalten demnächst Strafnachlaß, und in nicht allzu ferner Zeit wird Major auch Gerry Adams empfangen. Das sind jedoch alles Kleinigkeiten, die den Status quo ante wiederherstellen, wie er vor 25 Jahren geherrscht hat. Bei substantiellen Fragen, etwa der nach einem vereinigten Irland, gibt es von britischer und unionistischer Seite keine Anzeichen für eine Kompromißbereitschaft, während Reynolds und Adams diese Fragen einfach ausklammern.
Es bleibt abzuwarten, ob sich die IRA auf Dauer damit zufriedengeben wird. Der Waffenstillstand ist zweifellos zu begrüßen – die Regierungen in Dublin und vor allem London müssen jetzt ihren Teil dazu beitragen, daß er endgültig ist. Ralf Sotscheck, Dublin
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