■ Hilfssheriff im „Bürgerdesign“: „Sicherheitspartner“ in Brandenburg
Seit der Vereinigung stieg in Brandenburg die Zahl der registrierten Straftaten. Diese Aussage gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, daß die Kriminalstatistiken der Jahre 1991 und 1992 aufgrund von Erfassungsproblemen mit einiger Vorsicht zu betrachten sind. Seit 1994 pendelte sich die Kriminalitätsrate auf dem Vorjahresniveau ein. Die Massenkriminalität (Einbrüche, Diebstähle) stellte dabei mit 64 Prozent den größten Anteil. Die Kriminalitätsangst in der Bevölkerung scheint zum Teil stärker ausgeprägt als in den alten Bundesländern.
In dieser Situation rief das brandenburgische Innenministerium den „Modellversuch Sicherheitspartner“ ins Leben.
Zunächst wurden zehn Orte ausgewählt, in denen der Modellversuch gestartet wurde. In den zumeist kleinen Orten, in denen es zum Teil schon „Bürgerwehren“ gab, wurden vom örtlichen Revierpolizisten oder dem Bürgermeister Sicherheitsversammlungen einberufen, auf denen interessierte BürgerInnen die örtliche Sicherheitslage sowie Gegenmaßnahmen und Handlungsvorschläge für die künftigen „Sicherheitspartner“ berieten. In weiteren Versammlungen konnten sich Interessierte bereit erklären, als „Sicherheitspartner“ zu wirken.
Sie sind im Rahmen ihrer Tätigkeit versichert und halten eine monatliche Aufwandsentschädigung von 50 Mark, stehen aber nicht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis. Außerdem wurden sie mit Einwegkameras, Taschenlampen und Schreibutensilien ausgerüstet und erhielten im Einzelfall ein Mobiltelefon.
Die Vorstellungen der Potsdamer Ministerialbeamten zu den möglichen Aufgabenfeldern der „Sicherheitspartner“ sind weit gefaßt und lesen sich streckenweise wie ein Pfadfinderhandbuch: Sicherheitspartner sind demnach „herausgehobene Vorbilder, Beispiele für soziales Engagement“, die Einwohner beim Eigentumsschutz beraten, Schulkinder und andere schutzbedürftige Personen begleiten oder Telefonketten zum Schutz von Asylbewerberheimen bilden. Sie können mit jugendlichen Tätern und deren Eltern über Maßnahmen zur Wiedergutmachung eines Schadens sprechen oder eingreifen, wenn der Straßenrand zur Mülldeponie wird. Weiter sind sie präsent in Bereichen wie „Laubenkolonien und Ladenzeilen“ und alarmieren im Verdachtsfall die Polizei. Hoheitliche Aufgaben, etwa Identitätsfeststellungen oder Personenbefragungen, nehmen sie, im Gegensatz zur bayerischen „Sicherheitswacht“, nicht wahr, sie haben allerdings sogenannte Jedermannrechte, also im Ernstfall unter anderem das Recht, jemanden bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten. Damit war die Aufgabenkonzeption von Anfang an zweigleisig: einerseits soziale Schutzengel, andererseits freiwillige Stellvertreter der Polizei.
Zunächst war die Resonanz bei den Bürgern eher mäßig: Zum Teil erschienen in den Versammlungen weit mehr Medienvertreter als engagierte BürgerInnen. In anderen Orten wurde eine ganze Kleingartenkolonie oder die halbe Gemeindevertretung „Sicherheitspartner“. Im realen Alltag der „Sicherheitspartner“ treten Nachbarschaftshilfe und ehrenamtliche Sozialarbeit gegenüber den „klassischen Tätigkeiten“ einer Hilfspolizei allerdings deutlich in den Hintergrund. Die Hauptbeschäftigung der meisten „Sicherheitspartner“ besteht im „Streifelaufen“, und gerade in dieser Funktion sind sie möglicherweise aus polizeifachlicher Sicht ein Erfolg, politisch betrachtet jedoch problematisch.
Eine Ursache dafür liegt im Rollenverständnis der freiwilligen Sicherheitswächter. Der Abschlußbericht der Innenbehörde stellt dazu (erstaunlich einsichtig) fest: „Viele Aktive sehen sich noch zu dicht bei der Polizei, verstehen sich [...] im Innern noch als deren Helfer.“
Erfreut meldete das Innenministerium im Dezember des vergangenen Jahres einen teilweise erheblichen Rückgang der Kriminalität in den Versuchsorten. In zwei Orten wurden in der Zeit des Modellversuchs überhaupt keine Straftaten registriert (im Vorjahr circa 120 Einbrüche). Die „unberechenbare, besonders intensive Streifentätigkeit der Sicherheitspartner“ wirkte sich insbesondere bei Einbrüchen „anhaltend täterungünstig“ aus, heißt es im Abschlußbericht.
Offen bleibt jedoch, wodurch der Kriminalitätsrückgang verursacht wurde. Ließen sich ortsfremde Kriminelle abschrecken, oder hat die publikumswirksam inszenierte Streifentätigkeit einheimische Jugendgangs wieder unter Kontrolle gebracht? Oder wurde die Kriminalität nur in andere Bereiche abgedrängt? Selbst das Innenministerium schließt nicht aus, daß in einzelnen Gemeinden die Kriminalität nicht einfach verschwunden ist, sondern in Nachbargemeinden verdrängt wurde. Von dort erreichte die Behörde schon der Ruf nach weiteren Sicherheitspartnerschaften. Ein Kreislauf ohne Ende? Ursachengeleitete Gegenmaßnahmen bietet der Modellversuch jedenfalls nicht.
Das eigentliche Problem besteht jedoch darin, daß die „Sicherheitspartner“ (aller rhetorischen Schönfärberei zum Trotz) Polizeiersatz spielen. Sie nehmen Aufgaben wahr, die sich im öffentlichen Raum abspielen und die Gefahr eines Konflikts mit anderen Bürgern bergen, ohne dafür entsprechend ausgebildet und rechtlich hinreichend legitimiert zu sein (und bei einem Fehlverhalten gibt es keine Möglichkeit, sie dienstrechtlich zur Verantwortung zu ziehen). Schnell kann da die Grenze von der Nachbarschaftshilfe zur übereifrigen Schnüffelei überschritten werden.
Beim Aufspüren von „Verdächtigen“ bleiben vorurteilsbeladene Raster offenbar nicht immer außen vor, plaudert ein „Sicherheitspartner“ im Polizeiblatt des Innenministeriums unbefangen: „Wir hatten einen bösen Kriminalitätsschwerpunkt in unserer Datschensiedlung. Viele Rumänen und Russen tauchten hier auf. Wir haben regelmäßig Streifengänge gemacht und sie mit der Wache Zossen abgesprochen. [...] In der Siedlung finden sich keine Fremden mehr.“ Als Frage bleibt offen: Warum griff die Polizei nicht ein, wenn es sich wirklich um einen Kriminalitätsschwerpunkt handelte? Der Verdacht drängt sich auf, daß es mit dem Modellversuch nicht gelang, die Bürgerwehren unter Kontrolle zu bringen, sondern im Gegenteil ihr fragwürdiges Verhalten legitimiert wurde – mit dem angenehmen Effekt einer Entlastung der Polizei von originären Aufgaben. Dabei gibt es gerade auf kommunaler Ebene Alternativen und ursachenorientierte Gegenstrategien. Der Vorteil etwa von „kommunalen Räten“ oder „runden Tischen“ besteht darin, daß hier kommunale Behörden, betroffene BürgerInnen, gesellschaftliche Gruppen und die Polizei gemeinsam Verantwortung wahrnehmen und Lösungen suchen, ohne die Befugnisse anderer Stellen zu übernehmen. Griet Newiger
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