: Hier wird keine Elite gebildet
■ betr.: „Keine Chance an den Ge samtschulen“, taz vom 25. 1. 96
Ich gehe selbst auf eine Gesamtschule und kann nur sagen, daß ich die im Artikel genannten Kritikpunkte so nicht sehe.
An unserer Schule werden seit jeher zu drei gleichen Teilen Gymnasial-, Real- und Hauptschulempfohlene aufgenommen, während sich das Verhältnis der Abschlüsse zum Positiven verschiebt, das heißt mehr als ein Drittel erreicht das Versetzungszeugnis in die elfte Klasse (die Oberstufe ist der eines Gymnasiums 100 Prozent angeglichen), ein großer Teil erreicht den Realschulabschluß und – im Verhältnis zur Aufnahmeregelung – nur relativ wenige einen Hauptschulabschluß. Diese Regelung halte ich für sehr sinnvoll. Hier wird keine Elite gebildet, sondern mit Schülern jeglicher sozialer Herkunft gemeinsam gelernt.
Auch entwickeln sich gute Leistungen nicht durch Druck, sondern persönlichen Ehrgeiz. An „normalen“ Schulen ist oft die Parallelklasse die „böse“, während hier trotz bestehender fester Klassenverbände durch die Mischung der Klassen in den verschiedenen Kursen früh (?) soziale Toleranz gelernt wird.
Und was das Putzen der Schule durch die Schüler angeht: An unserem Wandertag werden wir die Schulflure streichen und die Chemieräume aufräumen, allerdings (noch) auf freiwilliger Basis. Mareike Schodder, 16 Jahre,
Sophie-Scholl-Schule, Berlin
O ja, „Kritik tut weh“ ...
[...] Nach anderthalb Jahren eigenverantwortlicher Tätigkeit an dieser Schulform ziehe ich Bilanz: Es funktioniert nicht, und ich behaupte, jeder, der damit zu tun hat, sieht und jeder weiß, daß es nicht funktioniert. Jedenfalls so nicht.
Und diese mich einst so beeindruckenden „guten Menschen“ von Schulleitern und Dezernenten und Ministern werden plötzlich zu egoistischen Figuren, die wie der böse alte Honecker auf ihren verzerrten Wahrnehmungen beharren und die Menschen anhalten, ihnen in Aufmärschen eine Wirklichkeit vorzuführen, die es nicht gibt. Sie kommen in die Schulen und lassen sich von Lehrern Stunden mit Binnendifferenzierung „vorführen“ (jawohl: alles Theater!), die man gern sieht, die aber im praktischen Schulalltag nicht zu leisten sind; sie lassen sich durch Schulen führen, die man gerade gestrichen hat und deren Demolierungen für teures Geld beseitigt wurden; sie lesen in schuleigenen Publikationen schöne Texte über kulturelle Veranstaltungen an der Schule, die jedoch mit der Wirklichkeit rein gar nichts zu tun haben. Die Leidtragenden sind die Kinder und Jugendlichen, die zu Statisten für diese Lustbarkeiten werden. All dies, um sich vor der Erkenntnis zu drücken, daß man Träumen aufgesessen ist oder – noch mieser – aus parteipolitischer „Geradlinigkeit“? Oder hat hier einfach nur Blindheit das Kommando. Christine Winkelmann, Köln
Die Ministerin meint, die Diskussion sei überholt. Sind demokratische Grundbedingungen im nordrhein-westfälischen Fürstentum nun endgültig abgeschafft? Schulfragen sind existentielle Fragen. Intellektuell redlich wäre Diskussion darüber permanent einzufordern. Zu diskutieren wäre auch, warum fast alle führenden SPD- Politiker und fast alle Gesamtschullehrer ihre Kinder auf Gymnasien „gleicher“ machen als andere. Die einen werden führen, die anderen werden sie wählen dürfen!
Die neue Ministerin ist aber auch ehrlich. Indirekt gibt sie zu, daß sie alle Diskussionen in der Schulpolitik vermeiden soll. Denn die SPD weiß, daß es sonst Schwierigkeiten höchsten Maßes mit dem Koalitionspartner geben könnte. Die real existierende integrierte Gesamtschule, das weiß die SPD nur zu genau, erfüllt bei weitem nicht das, was einst politische Hoffnung war. Nur wenn die Gesamtschule flächendeckend ohne Konkurrenz durch andere Schulformen angeboten würde und wenn die Klassen nicht mehr als etwa zwölf Schüler hätten (nur bei solchen Zahlen ist die unabdingbare Binnendifferenzierung überhaupt möglich), könnte Gesamtschule wirklich funktionieren. Und genau das wollen die Grünen. Es müßten große Geldmengen in die Schulen laufen. Geld ist nicht da, die SPD will die Gesamtschulen nicht flächendeckend. Also geht es darum, Politik und Auseinandersetzung zu vermeiden. Wer eine ethisch vertretbare Gesamtschule will, muß Geld, mehr Lehrer und Flächendeckung fordern und durchsetzen. Warum sollte bei dieser Lage die Diskussion über Rückkehr zum dreigliedrigen Schulsystem oder die Hinwendung zur kooperativen Gesamtschule überholt sein? Rolf Dieter Zens, Köln
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