Hexenprozess in Bayern: Dem Teufel verschrieben
Vor allem Kinder waren die Opfer eines der letzten deutschen Hexenprozesse. Über Rainer Becks große Studie "Mäuselmacher oder die Imagination des Bösen".
"Mäuselmachen", Mäuse zaubern, das klingt harmlos, fantasievoll und naiv bayerisch. Doch vor knapp 300 Jahren musste im oberbayerischen Freising, wer es zu können behauptete, mit dem Leben bezahlen.
Denn "Mäuselmachen" wurde dort nicht als Hirngespinst abgetan. Es stand für verbotene Zauberei, Verbindung mit dem Bösen, Teufelspakt. Und es bildet als Gerücht von einem Ereignis den Anfang einer Geschichte, die den Historiker Rainer Beck nicht mehr losgelassen hat.
Die Geschichte eines der letzten Hexenprozesse im auf deutschem Boden zog sich über Jahre hin und kostete etliche Freisinger Kinder und Jugendliche das Leben. Beck hat Vernehmungsprotokolle und Dokumentationen gesichtet, die fast drei Jahrhunderte lang unbeachtet im Bayerischen Hauptstadtarchiv München lagen und für seine Studie "Mäuselmacher oder die Imagination des Bösen" aufgearbeitet.
Rainer Beck: "Mäuselmacher oder die Imagination des Bösen. Ein Hexenprozess 1715-1723".
C. H. Beck, München 2011, 1.008 S., 49,95 €
Dahinter steckt nicht weniger als der Anspruch, "so etwas wie eine Kulturgeschichte zu schreiben: die Kulturgeschichte einer süddeutschen katholisch-konfessionellen Gesellschaft am Vorabend der Aufklärung."
1.000 Seiten umfasst der Wälzer, in dem Beck die Details des Verfahrens, das von 1715 bis 1723 im katholischen Erzbistum Freising geführt wurde, beleuchtet. Die Beschuldigten sind nicht etwa die "üblichen" Verdächtigen: in die Jahre gekommene, allein lebende, rothaarige Frauen, denen dämonische Machenschaften nachgesagt werden.
Die Kinder werden gefoltert
Die vermeintlichen Teufelsbündner des Freisinger Hexenprozesses sind meist Kinder, Jungen aus ärmlichen Verhältnissen, die die Pubertät oft noch nicht erreicht haben. Sie werden eingesperrt und verhört, immer wieder befragt, massiv unter Druck gesetzt, gefoltert. Beck zitiert aus den Protokollen, die fantasievollen Kindergeschichten von Hexentänzen und Begegnungen mit dem Teufel in seinen verschiedenen Tier- und Menschengestalten.
Oft sind diese "Geständnisse" Ergebnisse des Drohens und der Folterbank. Kaum einer der Inquisiten kann widerstehen und bei seinen Unschuldsbehauptungen bleiben. Beck zitiert Akten des Freisinger Amtshauses, die die Inhaftierten gegen Ende der ersten Prozessphase um 1717 als "immer widerwärtiger und verwirrter" beschreiben - für einige bleibt Selbstmord der einzige Ausweg.
Unter Anleitung der Inquisitoren erfanden die Kinder Geschichten von skurrilen Orgien mit dem Teufel und seinem Gefolge, behaupteten (kindliche) homosexuelle Praktiken sowie die Schändung christlicher Symbole. Durch Becks mikroskopische Arbeit werden die Aussagen in ihren damaligen soziokulturellen, historisch katholischen Kontext eingebettet und entmystifiziert.
Beck rekonstruiert die traditionelle Wirklichkeit Anfang des 18. Jahrhunderts in einer Stadt von 3.000 Einwohnern, in der das Böse in Gestalt der Kirche sein Unwesen treibt und jeden herausfordert, der sich nicht mit allen - wiederum katholischen - Mitteln dagegen zu wehren weiß.
Über den Wahrheitsgehalt von Teufelsgeschichten lässt sich schlecht streiten, doch über die Rekonstruktion des Freisinger Hexenprozess gelingt es Beck, ein umfassendes Bild der vormodernen Wirklichkeit auf deutschem Boden zu zeichnen. Hier war noch keine Aufklärung in Sicht.
Acht Jahre dauert der Prozess
Die Komplexität des Prozesses mit seinen vielen minderjährigen Opfern, den verschiedenen Fortsetzungen und Wiederaufnahmen macht Becks Buch zu einer nicht eben leichten Kost. Doch der wissenschaftliche Blick und die vielen Exkurse werden getragen von einer mitreißenden Leidenschaft für das historische Material und eine teilweise rührende Empathie mit den Protagonisten.
Beck zitiert gekonnt aus den Quellen. So kommen die Freisinger "Malefikanten" oft zu Wort. Vom "Deifl" ist in ihren Äußerungen die Rede. "Hab's nit getan", versuchen sie verzweifelt in den Verfahren zu überzeugen. Erst nach acht Jahren, im Jahre 1723, kommt der Prozess zu einem Ende. Nach und nach, aber doch recht zügig, werden Inhaftierte auf Anweisung des Hofrats entlassen, die mit gleichen Vorwürfen belastet waren wie die eben erst Hingerichteten.
Die Beendigung des Verfahrens eilt, denn ein Jahr darauf steht die 1.000-Jahr-Feier des Bistums Freising an, das sich durch die Herrschaft angesehener Bischöfe und die Förderung von Kunst und Bildung einen Namen gemacht hat. Einen laufenden Hexenprozess, den Teufel in der eigenen Stadt, kann man sich da schlichtweg nicht mehr leisten. Mit dem Ende des Prozesses endet auch Becks Studie, wenn auch etwas schleppend und langsam.
Schleppend und langsam neigte sich auch die vormoderne katholische Gesellschaft Mitte des 18. Jahrhunderts - zumindest in den städtischeren Regionen - ihrem Ende zu. Das mächtige Fürstbistum Freising fällt um 1800 der Säkularisation zum Opfer, worauf der Ausgang des Prozesses eine leise Vorahnung zu geben scheint.
Rainer Beck hat ohne Zweifel eine Kulturgeschichte ersten Ranges geschrieben, eine, die vor allen Dingen auch der Perspektive der Kinder einen großen Platz einräumt.
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