Heute : Die Beobachtung der Beobachter
„Wir sehen die Ukraine, und die Ukraine sieht uns!“ ist das Motto der Lesung, die auch über Juri Andruchdowytschs hoch gelobtem Roman „Zwölf Ringe“ stehen könnte. Genauso könnte das Motto aber auch lauten: Wir glauben, die Ukraine zu sehen, und stellen am Ende fest, dass wir uns nur selbst beobachtet haben.In dem Roman, aus dem Juri Andruchdowytsch heute im Nachtcafé der Volksbühne lesen wird, reist der österreichische Fotograf Zumbrunnen in den 90er-Jahren durch die Karpaten und erlebt ein Land im postsozialistischem Chaos, das ihn fasziniert; umso mehr, als er sich in seine Dolmetscherin verliebt. Er folgt ihr und landet schließlich im „Wirtshaus auf dem Mond“, das von Stripteasetänzerinnen bis zum ukrainischen Nationaldichter der Postmoderne, Bohdan-Ihor Antonytsch, ein bizarr-buntes Sammelsurium an Gästen beherbergt. Mal mit drastischer Komik, dann wieder mit verschrobener Poesie porträtiert Juri Andruchowytsch ein Land im Ausnahmezustand, wobei Realität und Mythos, Magie und Geschichte untrennbar ineinander fließen. Dabei wandelt der Erzähler auf verschlungenen Nebensträngen und hält dem westlichen Leser immer wieder auf intelligente und ironische Weise den Spiegel vor. JB