Heute wird in Pakistan gewählt: Schafft es Benazir Bhutto wieder?
■ Im August wurde sie als Premierministerin abgesetzt. Sie hat sieben Gerichtsverfahren wegen Korruption und Amtsmißbrauch am Hals. Trotzdem sehen viele PakistanerInnen in ihr die einzige Alternative zur fortschreitenden Islamisierung. Bhutto muß aber nicht nur die Wahlen, sondern auch die Auszählung gewinnen.
In Pakistans nördlicher Grenzregion mit Indien hat es Benazir Bhutto besonders schwer. Sie, die aus der südlichen Sindhprovinz stammt, muß im Punjab sozusagen zum Auswärtsspiel antreten. Ihr bedeutendster Herausforderer, Nawaz Sharif, sitzt hier seit fünf Jahren an der Regierungsmacht, und neunzig Prozent der Angehörigen der pakistanischen Armee — Bhuttos traditioneller Gegner — stammen aus dieser bevölkerungsreichsten Provinz, in der allein rund vierzig Prozent aller Abgeordneten gewählt werden.
In Lahore, der Hauptstadt des Punjab, hat die im August vom Staatspräsidenten abgesetzte Ex- Premierministerin sichtlich mit der ihr feindlichen Administration zu kämpfen: Eine Kundgebung abzuhalten wurde ihr — trotz zweimaligen Antrags — untersagt, so daß sich ihre Vier-Parteien-Koalition PDA („Demokratische Volksallianz“) mit einem Umzug durch die Stadt zufrieden geben mußte. Aber sie kämpft: Nachdem sie am Montag den ganzen Tag durch Dörfer und Städte der Region getourt war, geriet der Marsch einer großen Menge ihrer jubelnden Anhänger durch Lahore zur mitternächtlichen Prozession. „Sie können mir ja meinen zweijährigen Sohn auch noch verhaften, doch ich bleibe an der Seite meines Volkes“, rief sie in die Menge — in Anspielung darauf, daß ihr Ehemann derzeit unter dem Vorwurf der Korruption im Knast sitzt.
Der Ausgang der Wahlen ist völlig offen. Viele Beobachter meinen, daß Frau Bhutto in den letzten Wahlkampfwochen viel an Sympathie dazugewonnen hat, nicht zuletzt durch ihr entschlossenes Auftreten gegen die geschlossene Männerfront ihrer Gegner von der „Islamischen Demokratischen Allianz“ (IJI), die seit August die Übergangsregierung stellt. Andererseits ist nicht auszuschließen, daß diese Übergangsregierung mit ähnlichem Geschick die Wahlergebnisse zurechtbiegt, mit der sie Bhuttos Koalition die Sendezeit im Fernsehen beschnitt. Mit allen Kandidaten außer mit ihr wurden lange Interviews ausgestrahlt, die 37jährige tauchte, wenn überhaupt, nur kurz vor einer ins Dunkel der Nacht getauchten Menschenmenge auf.
Dennoch glauben auch viele unabhängige Beobachter an ihre Chance: Das Volk dränge sich doch noch immer bei den Wahlveranstaltungen ihrer „Volkspartei“ (PPP). Bei aller harschen und unerbittlichen Kritik an der politischen Naivität Bhuttos und ihres Ehemannes Asil Zaduris bleibt ihre Partei die einzige ernst zu nehmende Alternative für alle diejenigen, die sich ihre Zukunft in einem vollends islamisierten Staat lieber nicht ausmalen wollen.
In einem Interview hat der in Untersuchungshaft sitzende Zadari gerade erst das gerechtfertigt, was andere ihm vorwerfen: Er sei dafür, daß um jeden Preis ein günstiges Investitionsklima geschaffen werde, und sei es mit Hilfe von Regierungsgeldern. Firmen und deren Projekte müßten „vorfinanziert“ werden, erst später könne man die Gewinne wieder „umverteilen“. Und wenn er sich das eine oder andere Mal für einen Freund oder Bekannten eingesetzt habe, um ihm Investitionsvorteile zu verschaffen, so sei das doch nur natürlich. In der Tat kennzeichnet eine solche Haltung ihn als „guten Pakistani“, der erst für seine Familie, dann für seinen Clan und schließlich für seine politischen Freunde sorgt. In einer Gesellschaft, die keine funktionierende Sozialversorgung kennt, hat er in den Augen vieler lediglich vielleicht etwas zu viel des Guten getan.
„Wen sollen wir wählen?“
„Bringt uns bloß nicht mit der Frage, wen wir wählen, in Verlegenheit“, steht auf einem selbstgemalten Transpartent in der neureichen Satellitenstadt zwischen Rawalpindi und Islamabad. Und der junge Pilot der pakistanischen Fluggesellschaft, dessen Vater unter der Diktatur des General Zia (der seinerzeit Bhuttos Vater hinrichten ließ) wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten seinen Job bei derselben Fluglinie verlor, sieht keinen Sinn darin, seine Stimme für irgendwelche Politiker abzugeben, die sich dann doch nur bereicherten, um ihre Kinder auf ausländische Schulen zu schicken: „Der ersten Partei, die es schafft, der Jugend in diesem Lande zu etwas Vergnügen, ein paar Bars und Diskotheken zu verhelfen, werde ich meine Stimme gebe. Derselbe junge Mann scheut sich indes nicht, seine mit 26 Jahren schon viel zu lange unverheiratete Schwester zu ermahnen, lieber nicht zu oft das Haus zu verlassen. Am besten sollte sie ihren Job an den Nagel hängen. Widersprüche eines originär islamischen Landes.
Ganz falsch liegt der junge Pilot mit seiner Kritik an den dynastischen Tendenzen auch bei den Bhuttos sicherlich nicht. Benazirs Ehemann findet dennoch nichts dabei, daß er auch selber kandidiert: „Mein Vater war bereits Gründungsmitglied der PPP, und in der Partei sind so viele Brüder und Familienmitgieder vertreten, daß es auf einen Ehemann mehr oder weniger auch nicht ankommt.“
In der Tat lesen sich die Kandidatenlisten sowohl der PPP als auch der gegnerishen IJI wie das „Who's Who“ der landbesitzenden Klasse der Sindhprovinz. Die überwiegend bäuerliche Bevölkerung hat dort die Auswahl zwischen Reräsentanten der vierzig grundbesitzenden Familien, zwischen Makhdooms, den Pagaras, Somroos, Jatois, den Bhuttos und so weiter. Für alle Fälle haben nicht wenige dieser Clans ihre politischen Exponenten auf beide Seiten des Machtspektrums verteilt. An diesen Verhältnissen hat auch die Landreform von Benazirs Vater, Zulfikar Ali Bhutto, nichts zu verändern vermocht. Denn wer damals seinen Besitz verteilen mußte, tat dies unter seiner weitverzweigten Anhängerschaft oder innerhalb des Clans, er behielt dabei Zugriff und Einfluß.
Bhutto hat feudale Kontrolle gefestigt
Bei aller progressiven Rhetorik haben die Bhuttos die feudale Kontrolle über die Politik nur perpetuiert, schreibt Pakistans gegenwärtig beliebtestes Magazin 'Newsline‘. Aber: Die Bhuttos haben zugleich die ethischen Grundlagen dieser feudalen Weltordnung in Frage gestellt und werden dafür bis heute von ihren Anhängern belohnt.
Während sich die IJI im Sindh hundertprozentig aus den Familien der Landlords rekrutiert, schickt sie im nördlichen Punjab mit Nawaz Scharif einen Mann ins Rennen, dessen politische und finanzielle Karriere erst mit General Zia ihren rasanten Aufstieg nahm. Heute zählt Scharif zu den reichsten Männern des Subkontinents — mit durchaus fragwürdigen Methoden hat er sich durch die Übernahme einer Reihe von maroden Unternehmen gesundgestoßen. Wie er das gemacht hat — offenbar mit Hilfe seiner IJI-Regierung, wird allerdings nicht gerichtlich geklärt — anders als bei den Bhuttos.
Und dennoch hat sich Scharif mit seiner IJI-Regierung im Punjab keinen schlechten Namen gemacht. An die Bewohner der Slums verteilte er Landrechte, richtete Fonds zur Bekämpfung der ärgsten Armut unter ihnen ein. Er wirft Frau Bhutto, die gleichzeitig die Zentralregierung stellte, vor, sie habe ihm mit ihrer zentralistischen Politik jede Kompromißlinie, in der zwischen Indien und Pakistan geteilten Provinz unmöglich gemacht.
Tatsächlich hat Benazir Bhutto eine nationalistische Politik im Sinne des Staatsgründers Quaid e Azam betrieben und damit — wie schon ihr Vater — manche linksorientierte Selbstbestimmungsbewegung, wie die der Belutschen und Paschtunen ins Lager der Gegner getrieben.
Fälschung oder nicht?
Werden die Wahlen gefälscht oder nicht? Das bleibt die offene Frage. Die Militärs, das ist hier die einhellige Meinung, bleiben so oder so an der Macht. Die Zeichen für sie stehen ohnehin günstig, nachdem die Krise am Golf der pakistanischen Armee wieder einen strategischen Stellenwert für den „Westen“ zugespielt hat. Wenn es bei den Wahlen zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Allianz der Bhutto-Gegner und ihrem Lager kommen sollte, dann nicht zuletzt deshalb, weil beide Parteien für die Zukunft Pakistans keine überzeugende Alternative anzubieten haben. Bhuttos PPP hat die Wahlen von Beginn an als ein Referendum darüber verstanden, ob ihre Regierung am 6. August zu Recht aufgelöst wurde oder nicht. Beide Allianzen sind erst zwei Wochen vor Stimmabgabe mit Manifesten an die Öffentlichkeit getreten, die sich in erster Linie nicht durch Programme, sondern durch ihre ideologische Ausrichtung unterscheiden: Während sich die Bhutto-Partei hochtrabend als Repräsentantin einer Politik des 21. Jahrhunderts begreift, beharrt die IJI auf einer islamischen Ausrichtung der pakistanischen Gesellschaft.
Meinungsumfragen zur Korruption
Und die Korruption? Sie wird von der Bevölkerung den Parteien offenbar unterschiedlich zugeschrieben, wieder nach Nord und Süd gespalten. Laut einer Umfrage des Magazins 'Newsline‘ halten im Sindh, der Heimat der Ex-Premierministerin, nur vier Prozent sie für korrupt (76 Prozent allerdings ihren Ehemann). Achtzig Prozent dagegen meinen, die Mullah seien der Korruption erlegen, und ebenso viele schreiben dies den Militärs zu. Im nördlichen Punjab dagegen sind es nur 29 Prozent, die die Mullahs und Generäle für korrupt halten, 26 Prozent Frau Bhutto und 57 ihren Ehemann.
Der Ausgang der Wahlen bleibt offen, sicher ist nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Wahlkampf, bei denen allein am vergangenen Sonntag im Punjab sechs Menschen starben, nur, daß Pakistan auch danach keinen ruhigen Zeiten entgegengeht. Simone Lenz, Ravalpindi
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