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■ Heute tagt am Kanzlertisch der "Zukunftsgipfel". Helmut Kohl, Gewerkschafter und Arbeitgeber debattieren unter anderem über die Viertagewoche auf der Basis von sechs Arbeitstagen...Weniger arbeiten in mehr Zeit

Heute tagt am Kanzlertisch der „Zukunftsgipfel“. Helmut Kohl, Gewerkschafter und Arbeitgeber debattieren unter anderem über die Viertagewoche auf der Basis von sechs Arbeitstagen. Sind durch dieses Modell Arbeitsplätze zu gewinnen?

Weniger arbeiten in mehr Zeit?

Bundeskanzler Kohl war des Lobes voll: Wenn jetzt die Gewerkschaften eine Viertagewoche auf Basis von sechs Arbeitstagen erwögen, sei das eine ganz „erstaunliche Positionsveränderung“. Am Vorabend des heute in Bonn stattfindenden „Zukunftsgipfels“, zu dem Bundeswirtschaftsminister Rexrodt neben dem DGB-Chef Schulte die Gewerkschaftsvorsitzenden Rappe (IG Chemie), Zwickel (IG Metall), Issen (DAG) und die Arbeitgebervertreter Henkel (BDI), Murmann (BDA), Späth (Handwerk) und Stihl (DIHT) eingeladen hat, machte Kohl ganz auf Optimismus: „Ich glaube, wir werden ein Stück weiterkommen.“

Darauf hofft auch der DGB- Vorsitzende Dieter Schulte, der eine „Beschäftigungsinitiative ohne Tabus und Berührungsängste vorantreiben will“, um bis zum Jahr 2000 die Arbeitslosigkeit „zu halbieren“. Für Wirbel, auch gewerkschaftsintern, sorgte Schulte im Vorfeld des Bonner Treffens mit seinem Angebot, die von den Gewerkschaften angestrebte Arbeitszeitverkürzung sei auch durch eine auf sechs Wochentage verteilte Viertagewoche umzusetzen. Schulte wörtlich: „Ob es die Viertagewoche auf der Grundlage von fünf oder sechs Wochentagen geben könnte, darüber wird zu reden sein.“ Diese Botschaft war nicht zuletzt für den Präsident der Arbeitgeberverbände, Klaus Murmann, bestimmt, der bei einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung 500.000 zusätzliche Arbeitsplätze in Aussicht gestellt hatte. Schulte setzte hier nach: „Ich will es wissen: Ist das eine Seifenblase, die platzt, sobald wir zufassen, oder ist das ein konkretes Angebot, über das sich seriös verhandeln läßt?“

Natürlich weiß auch Schulte, daß Verbandspräsidenten nicht die Schaffung von Arbeitsplätzen vertraglich garantieren können, aber er hält den Versuch, über Spitzengespräche eine drastische Arbeitszeitverkürzung anzustoßen, nicht für gänzlich aussichtslos. „Wir kommen auf den Wegen der Arbeitszeitverkürzung nicht weit genug und nicht schnell genug voran, wenn Arbeitszeitverkürzungen wie in den achtziger Jahren von den Gewerkschaften gegen den Rest der Welt durchgesetzt werden müssen.“ Ginge es mit dem bisherigen historischen Tempo weiter, dürfte die 30-Stunden-Woche wohl tatsächlich etwa erst im Jahr 2030 erreicht werden.

Zum Vergleich: Im Jahr 1900 erkämpften die Gewerkschaften die 60-Stunden-Woche. 1950 arbeitete man in der Bundesrepublik durchschnittlich 48 Stunden, 1980 40 Stunden, und es brauchte dann noch einmal längere Streiks und 13 Jahre, um 1993 auf die 38-Stunden- Woche zu kommen.

Viel schneller ging es bei VW. Die dort vereinbarte Viertagewoche – 28,8 Wochenstunden bei entsprechendem Lohnausgleich – hat Schulte, der vor seiner Wahl zum DGB-Chef dem IG-Metall-Bundesvorstand angehörte, im Blick. Dort sei der „Durchbruch“ gelungen. Deutlich reservierter klingt das beim IG-Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel selbst.

Für Zwickel kommt das VW- Modell nur als Krisenregelung für Einzelbetriebe in Betracht. Auf den freien Samstag möchte der IGM-Chef im Regelfall schon gar nicht verzichten. Nach den Berechnungen des DGB arbeitet heute schon ein Drittel aller Beschäftigten am Samstag. Geht es nach Zwickel, dann soll es dabei bis auf Ausnahmen auch bleiben: „Ich sehe nicht ein, daß wir samstags oder gar sonntags auch noch Kühlschränke und Autos produzieren sollen.“

Genau das aber wollen die Arbeitgeber. Ihnen geht es um die generelle Ausdehnung der Maschinenlaufzeiten. Deutschland, so tönen sie seit langem im Verein mit der Bundesregierung, liege mit Laufzeiten von 53 Wochenstunden weit hinter allen maßgeblichen Konkurrenten. Weil die teuren Maschinen – ein Arbeitsplatz im verarbeitenden Gewerbe kostet durchschnittlich 200.000 Mark – länger als anderswo stillstünden, könne die deutsche Industrie immer weniger mithalten.

Doch diese Zahlen sind höchst umstritten. So hält der Gelsenkirchener Arbeitswissenschaftler Gerhard Bosch vom „Institut Arbeit und Technik“ die Daten für „falsch“ – als Folge von fehlerhaften, nicht vergleichbaren Befragungen in den verschiedenen EU- Ländern. Bei korrekter Datenerhebung lägen die deutschen Betriebszeiten um 20 Stunden pro Woche höher – „eine Spitzenposition in Europa“ (Bosch). Außerdem gibt es nach den Erhebungen von Bosch in keinem anderen EU- Land so wenig Produktionsstillstände wegen Betriebsurlaubs pro Jahr wie in der Bundesrepublik.

Welche Arbeitsplatzeffekte durch Arbeitszeitverkürzungen tatsächlich erzielt werden können, ist höchst umstritten. Gälte heute noch die 40-Stunden-Woche, dann stünden nach den Berechnungen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schon heute 800.000 Arbeitslose mehr in der 3,6 Millionen langen Arbeitslosenschlange. Auch wenn andere solche Zahlen bestreiten, ein positiver Effekt ist nicht zu bestreiten (siehe unten).

Dabei ist für den DGB klar, daß die Teilung der Arbeit mit der Neuschaffung von Arbeit in zukunftsträchtigen Bereichen einhergehen muß. Ohne ein Verlassen der alten Schützengräben durch die Tarifpartner funktioniert das gewiß nicht. Schulte will jetzt „nicht mehr hören, was alles nicht geht, sondern wissen, was gemeinsam geht“. Dazu fordert er auch von den eigenen Leuten den „Mut zu neuen Wegen“. Walter Jakobs

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