Hessischer Spitzenkandidat macht den Obama: Schäfer-Gümbels neuer Videoblog
Um Hessens nächster Ministerpräsident zu werden, nutzt Thorsten Schäfer-Gümbel das Internet. Mit einem Youtube-Video wendet er sich jetzt direkt an die Wähler.
Nur zweieinhalb Minuten dauert das Youtube-Video, das Thorsten Schäfer-Gümbel auf seiner Homepage eingebunden hat. Ganz schlicht, nur im Hemd und ohne Jacket steht er vor einem Bücherregal und wendet sich an die Internet-Gemeinschaft. Einen Video-Dialog will er auf diese Weise aufnehmen, in dessen Verlauf die Nutzer per E-mail Fragen stellen, die der Ypsilanti-Nachfolger dann per Videobotschaft beantwortet.
Dass Politiker das Internet für sich entdecken ist nicht neu, Angela Merkel sendet dort ihre Botschaften ebenso wie Ronald Pofalla oder Christian Wulff. Was Thorsten Schäfer-Gümbels Internetpräsenz so einzigartig macht ist die Art und Weise, auf die er sich den Wählern präsentiert. Er hat nicht einfach nur ein Video auf seine Homepage gestellt, sondern ein Youtube-Video. Dadurch macht sich der hessische Newcomer zu einem gemeinen Internet-Nutzer. Er begibt sich auf Augenhöhe mit denen, die nicht die Möglichkeit haben, teure Videos zu produzieren und von einem Teleprompter abzulesen.
Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch den ein oder anderen unbedachten Versprecher. „Um dieses Themen und diese Themen insgesamt“, verhaspelt sich der 39-Jährige. Man hört ein lautes Schmatzen, weil sein Mund trocken ist. Seine Rede stockt immer wieder und verdeutlicht: hier ist nichts einstudiert oder abgelesen. Dann appelliert er an die Internet-Nutzer: „Wenn Sie Anregungen oder Kritik haben, herzlich gerne nehme ich sie auf, auch diese würde ich gerne in der kommenden Woche beantworten. […] Ich freue mich schon jetzt auf Ihre zahlreichen Anmerkungen.“
Vielleicht ist dieses Video nur der Schachzug eines Medienstrategen. Nachdem aber vor einigen Wochen ein Internet-Fake zu Hessens Spitzenkandidat die Runde machte (die taz berichtete), drängt sich der Verdacht auf, dass der unbekannte Newcomer mehr Humor und Neugier hat, als man vermutet hätte. Das zeigen auch die verlinkten Videos, die nach Abspielen der Redebotschaft unter dem Videofenster erscheinen. Klickt man auf das Fenster, das ein Emblem mit Schäfer-Gümbel als Barack Obama zeigt, beginnen in einem 30-sekündigen Spot die Toten Hosen zu singen: „Steh auf, wenn du am Boden bist. Steh auf, auch wenn du unten liegst. Steh auf, es wird schon irgendwie weiter gehen“. Treffender kann man die Befindlichkeiten innerhalb der Hessen-SPD derzeit nicht wiedergeben.
Es gibt zahlreiche weitere Videos, die mit der Videobotschaft verlinkt sind und die Schäfer-Gümbel mal positiv präsentieren, mal auf die Schippe nehmen. Zum Beispiel eine Fernsehsatire, in der der Spitzenkandidat als "Agent Doppelnull" verhöhnt wird. Oder Ausschnitte aus einem Fernsehinterview, in dem ihn Michel Friedman einen "Ypsilanti-Ersatz" und "politischen Lügner" nennt.
Offenbar setzt der hessische Spitzenkandidat genau darauf. Er hat die große Zugkraft des medialisierten, amerikanischen Wahlkampfs beobachtet. Er versucht, den Obama zu geben. Man muss zugeben: Das hat Witz. Schäfer-Gümbel hat anscheinend begriffen, dass sich das Internet ohnehin seiner bemächtigen wird und sich entschlossen, diesen Umstand zu seinen Gunsten zu nutzen. Dabei gibt er sich bürgernah und hat den Mut, sich selbst nicht so ernst zu nehmen - ganz im Gegensatz zu seiner Vorgängerin.
Das ist nicht unbedingt eine Strategie, die man in schlaflosen Nächten ersinnt. Darin liegt der Clou. Die Medien selbst haben die Vorlage geliefert. Schon vor Wochen bezeichnete die Zeit Schäfer-Gümbel als Obama, kursierte die Fotomontage eines Designers aus Hannover in den Blogs, die Gümbel mit Barack Obama verglich. Er selbst hat anscheinend begriffen, dass er auf diesen Zug aufspringen kann. Auf seiner Homepage findet sich ein Poster aus dem Zeit-Magazin. Es zeigt ihn, auf Barack Obama getrimmt, mit der Bildunterschrift „Hope“.
Dieser Umstand hat gleich mehrere gute Seiten. Schäfer-Gümbel kann diese öffentlichkeitswirksamen Botschaften für sich nutzen, ohne selbst für sie verantwortlich zu sein. Er ist nicht Produzent, also vom Vorwurf der Selbstinszenierung befreit. Er kann sich damit sogar den Anstrich eines modernen und selbstironischen Kandidaten geben. Möglicherweise hat Hessens Spitzenkandidat die Weichen für künftige Wahlkämpfe neu gestellt, indem er die Werbung, teilweise zumindest, der Internet-Community überlässt.
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