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Archiv-Artikel

Herumlaufer und Bulettenberliner

LITERATUR Der Schriftsteller David Wagner überprüft in seinem neuen Buch „Mauer Park“ die eigenen Beobachtungen aus dem Berlin der neunziger Jahre. Eine seiner Erkenntnisse: Auch Mythen sind endlich

Der Wagner-Blick auf Berlin

David Wagner ist 1971 in Andernach geboren, seit 22 Jahren lebt er in Berlin. Mit seinem Roman „Leben“ gewann er dieses Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse. „Mauer Park“ aktualisiert die Eindrücke, die 2001 unter dem Titel „In Berlin“ erschienen sind.

Lesungen „Mauer Park“: 23. 11., 20 Uhr, Buchpremiere, Roter Salon in der Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, 6 €; 3. 12., 19 Uhr, Kiezkantine; 4. 12., 20 Uhr, Literaturforum im Brecht-Haus; 10. 12., 20 Uhr, Buchhandlung Neues Kapitel

INTERVIEW CATARINA VON WEDEMEYER

taz: Herr Wagner, Sie erfinden Wörter wie „Stummelstraße“ und „Weltstadtwille“ – verlangt Berlin eine eigene Sprache?

David Wagner: Ja, manchmal schon. Zum Beispiel dieses Luxusbauprojekt am Schiffbauerdamm, das aussieht wie der Sozialpalast in Schöneberg. Da dachte ich: Antisozialpalast, Unsozialpalast.

Wie finden Sie solche Worte?

Die fliegen mir so zu. Nein, das ist harte Arbeit. Ich möchte die Illusion vom Flanieren nicht zerstören, aber eigentlich spazieren gegangen wird auf dem Papier. Da bemühe ich mich, die Stadt zu literarisieren, zu fassen und zum Leuchten zu bringen.

Als was sehen Sie sich, wenn nicht als Flaneur?

Als Herumlaufer. Ich gehe einfach gern. Und irgendwas passiert dann immer.

Kommt Ihr Blick auf die Stadt durch eine Außenperspektive zustande?

Durch meine Kleinstadtkindheit habe ich eine andere Prägefolie, ja. Im Rückblick ist das eine Räuber-Hotzenplotz-Stadt, eine ideale Stadt. Außerdem habe ich fast zwei Jahre in Paris studiert. Als ich 1996 nach Berlin zurückkam, habe ich die Unfertigkeit gesehen, das ganze Ruinöse und Leere. Gegen Paris wirkt Berlin wie ein Entwurf. Auch das halbe Jahr in Mexiko-Stadt hat meinen Blick verändert. So etwas trägt dazu bei, dass man das Eigene ganz anders sieht.

Was ist das Eigene, das Sie in „Mauer Park“ beschreiben?

Das Buch verarbeitet die neunziger Jahre. Die alten Texte sind alle 1998 bis 2001 entstanden. Sie handeln von Orten aus dieser Zeit, FU, Prenzlauer Berg, Mitte. Nachdem „In Berlin“ nach zwölf Jahren historisch geworden ist, wollte ich mit dem neuen Titel überprüfen, wie Berlin heute ist.

Spielt der Titel auf den Flohmarkt an oder meint „Mauer Park“ auch die Stadt, die zwar wie ein Vergnügungspark wirkt, in der man aber noch die deutsche Geschichte spürt?

Ja, als ich die Texte wiedergelesen habe, war ich überrascht, dass fast in jedem die Mauer auftaucht. Und diese irren Freiflächen an der Bernauer Straße, das war ein Park. Die Stadt als Spielfeld, das ist genau der Gedanke. Das Kapitel „Mauerpark“ beschreibt dann das Phänomen mit diesen 5.000 Menschen und den fetten Krähen, die da rumsitzen. Es endet mit der historischen Pointe, dass sich schon vor 110 Jahren die Anwohner beschwert haben, dass da so viel los war. Die wollten, dass eine Mauer um den Park gebaut wird.

Sie sprechen von einem Phänomen. Gibt es ein Berlinphänomen?

Es fällt auf, dass die Orte, die Mitte der neunziger Jahre etwas galten, wie der Joop!-Store oder die Weltbühne, längst wieder geschlossen sind. Aber solche Berlinorte wie die Wagenburg an der Lohmühle gibt es noch. Die müssten eigentlich subventioniert werden, als Freiluftmuseum der Alternativkultur.

Kriegen andere Städte auch den Wagner-Blick ab, oder provoziert das nur Berlin?

Der Blick ist der gleiche, die Frage ist, was man sehen kann. Man ist drei Tage an einem Ort und hat alles verstanden. Dann ist man drei Monate da und weiß gar nichts mehr. Und nach einem Jahr weiß man noch viel weniger. Von Berlin hab ich eigentlich auch keine Ahnung.

„Die Rhythmik von damals wird in eine Rhythmik von heute gesetzt“

Fühlen Sie sich als Fossil aus den Neunzigern?

Nein, aber dieser Berlinausschnitt, den jeder für sein Berlin hält, ist eben nur ein Blick. Es gibt tausend andere. Ich versuche einfach hinzuschauen und es in Sprache zu übersetzen. Das Ironische ist, dass wir in den Neunzigern immer im Café M saßen und dachten: Mann, hier waren die achtziger Jahre, hier saß Blixa Bargeld. Und heute denkt man: ich habe die Neunziger verpasst.

Sind Sie mit „Mauer Park“ auf der Suche nach der verlorenen Zeit?

Die Rhythmik von damals wird in eine Rhythmik von heute gesetzt. In dem Kapitel über die Stabi erzähle ich eine Geschichte von einem Freund, der da seine große Liebe trifft, sie heiraten und kriegen Kinder. Und jetzt sind sie wieder geschieden. Das ist der Mythos. Er funktioniert, aber im neuen Buch sieht man eben, dass er auch ein Ende hat.

Wenn wir schon bei Mythen sind: Können Sie das Schicksal Berlins weissagen?

Ich kann keine Prognose abgeben. Aber seit ich hier bin, gab es immer Wellen. In den Neunzigern dachte man, wir werden Weltstadt, morgen fängt es an. Dann passierte zehn Jahre nichts. 1999/2000 war wieder ein Hoch, dann kam die nächste Krise. Jetzt wird wieder Betongeld in die Stadt gepumpt. Ich glaube nicht, dass jetzt das Wunderzeitalter angebrochen ist. Diese Begeisterungsberliner, was sagen die nach drei Wintern hier? Der Begeisterungsberliner hat den Bulettenberliner abgelöst. Aber zur Not kann man immer schön nach Reinickendorf fahren oder nach Wilmersdorf. Das kühlt einen wieder ab.