Hertha in der Krise: Erste Klasse im Schönreden
Hertha verliert zum dritten Mal in Folge und forscht nach den Gründen des Absturzes. Die Verantwortlichen sehen bisher aber nur eine "Ergebniskrise".
"Hey, was geht ab?" Diese Frage nahmen die Hertha-Anhänger vor wenigen Monaten stolz in ihr Liedgut auf, als ihr Klub im Meisterschaftsrennen munter mitmischte, obwohl die Berliner individuell der Konkurrenz weit unterlegen waren. So richtig fassen konnte das damals keiner. Weder die Experten noch die Fans. Die Frage, was denn da in Berlin Wunderliches passiert, hat auch in der neuen Saison nichts an Aktualität eingebüßt. Denn der Emporkömmling der vergangenen Spielzeit ist nach fünf Spieltagen zum Kellerkind der Liga geworden. In Mainz kassierten die Berliner ihre vierte Niederlage hintereinander.
Warum dieser Absturz? Für viele liegt es auf der Hand. Das einst hymnisch gelobte Kollektiv von Trainer Lucien Favre funktionierte eben nicht nur aus dem Zusammenspiel austauschbarer Kräfte. Das Team profitierte von den individuellen Fähigkeiten Einzelner. Von der unerschrockenen Gladiatorenmentalität des Abwehrhünen Josip Simunic und der Schlitzohrigkeit der Stürmer Marko Pantelic und Andrej Voronin. Alle drei haben den Verein verlassen.
Eines darf man dabei nicht vergessen: Die Berliner gewannen stets knapp. Das Heft hatten sie nie in der Hand. Und erklären konnte Favre die Erfolgsserie auch nie so richtig ("Manchmal liegt es an nichts"). Diese Saison verläuft spiegelverkehrt zur letzten. Alle vier Niederlagen kamen mit nur einem Tor Abstand zustande. Nach wie vor ist aber die Handschrift des Trainers unverkennbar. Hertha steht hinten gut organisiert, und bei Ballbesitz greifen die akribisch einstudierten Automatismen im Spiel nach vorn. Esprit und Überraschungsmomente vermisst man seit je. Es sind nur Kleinigkeiten und vor allem die Ergebnisse, die die derzeitige Mannschaft vom Vorgängerteam unterscheiden.
Die Schönredner der Branche nennen das eine Ergebniskrise. Deren Auswirkungen könnte bedrohliche Ausmaße für die Berliner Vereinsführung annehmen. Die Erfolge der Vorsaison dienen Herthas Fans als Maßstab ihrer Zukunftserwartungen. Sie leben in ihren Hoffnungen noch nach dem Dreistufenplan, den der im Frühjahr geschasste Manager Dieter Hoeneß vor zwei Jahren entwarf. Demnach sollten die Berliner nun in den Kampf um die Champions-League-Plätze eingreifen. Da hilf es wenig, dass die neue Führung um Manager Michael Preetz angesichts der Sparzwänge diesen Stufenplan als Treppenwitz verworfen hat.
Die kurz vor Transferschluss erworbenen Spieler Florian Kringe, Cesar, Adrian Ramos sollten helfen, die große Kluft zwischen Anspruchsdenken und der Realität zu mindern, Das ist, von der letzten Saison abgesehen, ein altbekanntes Problem bei Hertha. Zumindest Kringe ist vorerst von der Heilsbringerliste zu streichen: Er brach sich in Mainz den Mittelfuß.
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