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Herr Weizsäcker, wann begnadigen Sie?

■ Nach der Begnadigung des zu lebenslänglicher Haft verurteilten ehemaligen RAF-Mitgliedes Klaus Jünschke durch den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Vogel werden weitere Freilassungen gefordert / Der Bundespräsident ist am Zug

Berlin (taz) - Am Donnerstagvormittag ist erstmals ein zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteiltes ehemaliges Mitglied der „Roten Armee Fraktion“ begnadigt worden. Nach 16 Jahren Knast verließ Klaus Jünschke die Haftanstalt Diez/Lahn als freier Mann. Gegenüber der taz sagte Jünschke nach seiner Freilassung, er sei froh, das endlich hinter sich zu haben. Daß seine Freilassung jedoch in der RAF als Signal verstanden werden könne, halte er für ausgeschlossen. „Eine Regierung, die gleichzeitig ein Kronzeugengesetz vorbereitet und terroristischen Mördern ein Angebot machen will, mit drei Jahren davonzukommen, die kann Leute nicht damit locken, daß sie mich nach 16 Jahren rausläßt.“

In einer ersten Stellungnahme begrüßten die beiden Bundestagsabgeordneten der Grünen, Antje Vollmer und Christa Nickels die Entscheidung des Ministerpräsidenten Bernhard Vogel. Die beiden Frauen, die sich in der Vergangenheit engagiert für eine Amnestie und einen gesellschaftlichen Dialog mit den RAF-Gefangenen eingesetzt hatten, hoffen nun, daß der Entlassung Klaus Jünschkes weitere folgen werden. Auch der stellvertrende FDP-Vorsitzende Baum sagte in einem Rundfunkinterview, es gebe weitere ehemalige RAF-Mitglieder, die wie Jünschke die Anforderungen für eine Begnadigung erfüllten und sich vom Terrorismus losgesagt hätten. Baum: „Wir dürfen Terroristen nicht ausgrenzen, wir dürfen sie nicht anders behandeln als andere Straftäter. Ich möchte anregen, wünschen und auch fordern, daß jetzt die Zuständigen weitere Entscheidungen dieser Art treffen.“

Adressat dieser Forderungen ist mit einer Ausnahme Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Außer Manfred Grashof, sind alle übrigen zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen verurteilten RAF-Gefangenen durch die Bundesanwaltschaft angeklagt worden und können deshalb nur vom Bundespräsidenten begnadigt werden.

Während für den in Berlin einsitzenden Grashof ebenfalls der Mainzer Ministerpräsident Vogel zuständig ist, wäre es nun an Weizsäcker, ein Signal zu setzen. Im Gespräch mit der taz erinnert Klaus Jünschke vor allem an Irmgard Möller, die seit 16 Jahren in Isolationshaft sitzt, und an die bei der Botschaftsbesetzung in Stockholm festgenommenen RAF -Mitglieder. Gerade diese Gefangenen, Karl-Heinz Dellwo, Hanna Krabbe, Bernd Rössner und Lutz Taufer hätten ihre damalige Aktion nie unternommen, wenn die politisch Verantwortlichen nicht die unmenschliche Isolationshaft gegen RAF-Gefangene eingeführt hätten. Die Politiker der Bundesrepublik sollten endlich ihren Teil der Verantwortung für die jüngere Geschichte übernehmen, und nicht wie jetzt Bernhard Vogel alle Last auf die Leute legen, die gesucht werden oder in Haft sind. Tagesthema auf Seite 3

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