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„Herr Bohnert ist kein Bastard“

Jette Nietzard, Vorsitzende der Grünen Jugend, provozierte im ACAB-Pullover. Der Polizist Armin Bohnert hält das für daneben. Wie viel Kritik muss die Polizei aushalten? Ein Streitgespräch

Das berühmte Selfie von Jette Nietzard Foto: Fo­to:­ Screenshot Instagram/Jette Nietzard

Interview Konrad Litschko und Benno Stieber

taz: Frau Nietzard, muss sich Herr Bohnert als Polizist gefallen lassen, als Bastard bezeichnet zu werden?

Jette Nietzard: Nein, natürlich ist Herr Bohnert kein Bastard oder, wie es andere übersetzen, ein Schwein. Und auch nicht jeder andere einzelne Polizist. Das habe ich auch nie behauptet, es geht mir um eine Systemkritik.

taz: Sie haben mit Ihrem Selfie in einem Pullover mit ACAB-Logo – „All cops are ­bastards“ – für Empörung gesorgt, auch bei den Grünen. Stehen Sie nicht mehr zu dem Slogan?

Nietzard: Ich hatte den Pulli von einer Person geborgt und wollte damit gar nicht provozieren. Ich hatte ja auch ein Käppi auf, auf dem „Eat the rich“ stand. Ich dachte, darüber wird diskutiert. Aber dann ging es nur noch um das ACAB. Das war ein großes Problem der Debatte: Es wurde nur über einen Pulli diskutiert und nicht über berechtigte Kritik am System Polizei. Ich hätte mir eine andere Debatte gewünscht.

taz: Ging es Ihnen nicht eher um Selbstinszenierung?

Nietzard: Also, ich hatte auch schon vorher sehr ausführlich meine Kritik an der Polizei geäußert. Das hat aber keinen großen Wirbel ausgelöst. Dass die Debatte über den Pulli so groß wurde, wurde auch von rechten Medien angezettelt. Auch das sollten wir hinterfragen.

taz: Herr Bohnert, was halten Sie von dem Slogan ACAB?

Armin Bohnert: Ich glaube, dass diese vier Buchstaben nicht zur Systemkritik taugen. Das ist ein Wutausbruch, der inzwischen ein bisschen zu inflationär gebraucht wird. Ich persönlich fühle mich davon nicht beleidigt – da stehe ich drüber. Aber unter vielen Kolleginnen und Kollegen gab das einen Aufschrei. Ich wäre im Fall Polizei auch mit Provokationen sehr vorsichtig: weil da gesellschaftlich sehr Wichtiges auf dem Spiel steht.

taz: Aber muss sich die Polizei nicht auch harte Kritik gefallen lassen?

Bohnert: Natürlich. Und wir halten Kritik auch aus. Aber diese vier Buchstaben werden der Vielfalt der Polizei nicht gerecht. Wir haben den Streifendienst, geschlossene Einheiten, die Kriminalpolizei, Spe­zial­einheiten, Antikonfliktteams: Die eine Polizei gibt es gar nicht. Und ACAB drückt ja wirklich mangelnde Wertschätzung und Ernsthaftigkeit aus. Um kon­struk­tiv zu diskutieren, müssen wir andere Wege finden.

taz: Polizeigewerkschafter von der Deutschen Polizeigewerkschaft nannten die Grüne Jugend einen „wohlstandsverwahrlosten Haufen von Linksextremisten“.

Bohnert: Wir haben es ja auch kritisiert. Aber wie sich diese Lautsprecher immer wieder äußern, auch um berechtigte Kritik abzuwehren, das kann ich mir auch nicht erklären. Sie sind jedenfalls nicht die Mehrheit in der Polizei. Ich kenne viele Führungskräfte, die der gleichen Auffassung sind wie ich. Ich kann nur sagen: Wenn wir uns Kritik öffnen, wenn wir Transparenz zeigen, können wir nur gewinnen.

taz: Die Grünen haben in letzter Zeit die Annäherung gesucht: mit Polizeikongressen oder Forderungen nach einer „starken Polizei“. Haben Sie das kaputt gemacht, Frau Nietzard?

Nietzard: Was heißt denn „kaputt“ gemacht? Jede Polizei muss, unabhängig davon, was eine Jugendorganisation auf ihrem Pulli trägt, natürlich mit den Grünen kooperieren. Das ist ihre demokratische Aufgabe. Selbst wenn Robert Habeck so einen Pulli tragen würde, müsste sie die Grünen schützen. Wenn sie das nicht tun, dann haben wir ein ganz anderes Problem.

taz: Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann forderte Ihren Parteiaustritt, die Parteispitze kritisierte Sie scharf.

Jette Nietzard

26, ist Sozialarbeiterin in Berlin und seit Oktober 2024 Co-Vorsitzende der Grünen Jugend.

Nietzard: Dass Winfried Kretschmann und ich unterschiedliche Ansichten haben, war auch vorher bekannt. Diesen Spagat muss man als Partei aushalten. Natürlich müssen wir mit der Polizei, wie mit anderen Berufsgruppen, in den Austausch kommen. Wir müssen über die Arbeitsbedingungen bei der Polizei sprechen, etwa über die Belastungen und Überstunden, die gerade durch die Grenzkontrollen passieren. Genauso aber müssen wir grundsätzliche Fragen stellen: Welche Rolle spielt die Polizei in unserer Gesellschaft? Inwieweit sollte sie Waffen oder Taser tragen?

taz: Laut einem Lagebild des Verfassungsschutzes gab es jüngst 739 rechtsextreme Prüffälle bundesweit in den Sicherheitsbehörden. Eine große Polizeistudie befragte 40.000 Po­li­zis­t*in­nen, rund 400 attestierte sie ein geschlossen rechtsextremes Weltbild.

Bohnert: Früher war ja immer sofort die Rede vom Einzelfall, wenn etwas Negatives aufgefallen ist. Aber das stimmt nicht, dafür sind es zu viele Fälle. Und dann heißt es immer, dass die Polizei eben ein Spiegelbild der Gesellschaft sei. Aber auch das stimmt nicht, weil durch Auswahlverfahren nur bestimmte Personen zu uns kommen und wir auch eher konservative Leute anziehen. Die Frage bleibt: Wie groß ist das Problem wirklich? Und wo kommt das her? Ich habe den Anspruch, dass wir in der Polizei alles dafür tun, unsere Arbeit und Fehlverhalten zu reflektieren. Es darf keine kritische Masse geben, die zum Beispiel bei einem Machtwechsel unsere demokratische Grundwerte aufgibt.

Nietzard: Auch 739 Fälle sind viel zu viele. Es reicht, wenn ich an eine Person in einem Streifenwagen gerate, die rechts­extrem denkt, um ein Problem zu bekommen. Und es ist auch zu viel, wenn in der Polizeistudie herauskommt, dass jeder fünfte Polizist rassistisches Verhalten bei Kolleginnen beobachtet hat. Oder wenn es ein Rekordhoch an tödlichen Polizeischüssen gibt und in Oldenburg Lorenz von hinten erschossen wird. Oder wenn beim Einsatz zum Hanau-Attentat 13 SEK-Beamte in einer rechtsextremen Chatgruppe waren. Dann kann ich als Bürgerin nicht sicher sein, dass ich wirklich geschützt werde, wenn ich die Polizei rufe, vor allem, wenn ich nicht weiß bin.

taz: Herr Bohnert, der Europarat und Verbände haben Deutschland gerügt, weil es zu untätig bei Racial Profiling sei, also bei Polizeikontrollen allein aufgrund der Hautfarbe. Warum hat die Praxis Bestand?

Bohnert: Wenn es diese Rügen gibt, müssen wir das ernst nehmen. Wir sagen unseren Leuten immer: Ihr müsst verhaltensorientiert kontrollieren; also jemanden kontrollieren, der randaliert oder sich auffällig verhält. Das ist auch viel effizienter. Ich will ja die Richtigen kontrollieren. Deshalb ist auch ein bloßes Mehr an Polizei kein Sicherheitsgewinn. Wir müssen gezielt dort sein, wo wir gebraucht werden. Und natürlich ist es ein Problem, wenn Menschen der Polizei nicht vertrauen. Vertrauen ist die Basis für Polizeiarbeit, und wir müssen es rechtfertigen.

taz: Wie kann die Polizei dieses Vertrauen gewinnen?

Armin Bohnert

58, ist Vorstand von PolizeiGrün, einer Grünen-nahen Berufs­vereinigung in der Polizei. Er ist Chef der Kripo Freiburg und Grünen-Mitglied.

Bohnert: Ich habe zum Beispiel kein Problem damit, wenn in Einsätzen Bodycams getragen werden. Das entlastet Polizisten, die nach einem Einsatz nicht alles aus dem Gedächtnis aufschreiben müssten. Und es hat auch eine Kontroll- und Schutzfunktion.

Nietzard: Also mehr Bodycams bei der Polizei fordern auch wir als Grüne Jugend. Wir sind auch dafür, dass diese dann, zum Beispiel wenn Schüsse abgegeben werden, eingeschaltet werden müssen. Wenn das nicht passiert, muss das vor Gericht ein Nachteil sein – was bisher nicht der Fall ist.

taz: Jenseits von Bodycams: Wie bekommen wir eine demokratische Polizei hin?

Nietzard: Wir müssen die Kontrolle stärken. Bisher werden Verfehlungen ja von benachbarten Dienststellen aufgeklärt. Ich würde da lieber mehr Kompetenzen bei unabhängigen Polizeibeauftragten in den Bundesländern sehen, um solche Fälle aufzuklären. Das würde mir jedenfalls Vertrauen zurückgeben. Und ich glaube, vielen anderen auch.

Bohnert: Polizeibeauftragte sind übrigens nicht nur dazu da, dass sich Bürger über die Polizei beschweren, sondern auch, dass sich Beamte über ihre Arbeitsbedingungen beschweren können. Etwa, dass Supervision für Beamte in extremen Einsätzen standardmäßig eingeführt wird. Stattdessen fahren konservative Politiker gern mal eine Nachtschicht mit der Polizei und lassen sich dafür feiern, wenn neue Technik angeschafft wird. Aber für flächendeckende Super­vision ist kein Geld da.

taz: Mehr Geld für die Polizei – wäre das eine Forderung der Grünen Jugend?

Nietzard: Wenn es um Supervision geht, dann finde ich, dafür muss Geld da sein. Aber an anderer Stelle muss man sich auch mal fragen, ob nicht auch andere für Polizeieinsätze zahlen müssten, etwa die Fußballvereine für Hochrisikospiele. Da gab es ja gerade ein in­te­res­san­tes Urteil. Oder die Polizeikontrollen an der deutschen Grenze, wo erste Gerichtsurteile sagen, dass sie nicht legitim sind. Es würde helfen, wenn sich die Polizei gegen solche Einsätze lauter wehren würde. Natürlich braucht es im heutigen System Geld für die Polizei. Aber perspektivisch sollten wir schon schauen, wo wir Polizei brauchen – und wo nicht.

taz: Also langfristig wollen Sie die Polizei abschaffen?

Nietzard: In ganz, ganz, ganz ferner Zukunft (lacht). Das sehe ich nicht in einem Wahlprogramm. Aber natürlich wünsche ich mir eine Gesellschaft ohne zum Beispiel häusliche Gewalt, in der schon früher Schutzmechanismen für Frauen greifen. Also ja: eine Gesellschaft, in der Interventionen der Polizei nicht mehr nötig sind.

Bohnert: Als Utopie hat das seine Berechtigung. Aber ich glaube nicht, dass wir langfristig auf Polizei verzichten können. Wir sollten jedoch darüber diskutieren, ob immer alles bei der Polizei abgeladen werden muss. Ab freitags 17 Uhr etwa ist die Polizei allein mit allen möglichen gesellschaftlichen Problemen, weil andere Behörden dann Wochenende machen. Auch bei Verkehrsunfällen mit bloßem Sachschaden arbeitet die Polizei eigentlich für die Versicherungen: Wir objektivieren den Sachverhalt, die streichen die Versicherungssummen ein.

taz: Frau Nietzard, würden Sie den ACAB-Pulli noch mal tragen?

Nietzard: Das Bild ist so viel durchs Internet gegangen, ich brauche da erst mal eine Pause.

taz: Aber entschuldigen wollen Sie sich dafür nicht?

Nietzard: Der Pulli an sich war nicht das Problem, weil ich zur Systemkritik an der Polizei stehe. Aber die Debatte, die daraus geworden ist, hat niemandem geholfen. Das habe ich nicht gewollt, und ich checke, dass es am Ende komplett falsch gelaufen ist.

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