piwik no script img

Hemisphärenwechsel in SamoaDer ganz große Sprung

Beim überraschenden Wechsel Samoas in eine andere Zeitzone landete ein kompletter Tag auf dem Müllhaufen der Geschichte. Das Beispiel macht Mut für das neue Jahr.

Einen Tag ausgelassen: Samoa gehört jetzt zur östlichen Hemisphäre. Bild: dpa

BERLIN taz | Schwindende Gewissheiten. Mehr als für irgendetwas sonst steht das abgelaufene Jahr für die Erfahrung, dass nichts mehr stabil ist. 365 Tage rastloser Bemühungen, die Welt durch das Festhalten an dem besser zu machen, was der Menschheit unentbehrlich ist - und was ist das Ergebnis?

Griechenland: wird aufgelöst, der Euro: siecht dahin, die politische Moral: verwelkt. Nur Nordkorea, dieser letzte Stabilitätsanker in einer umbrechenden Welt, will bleiben, wie es ist.

In dieser deprimierenden Lage hat nun ausgerechnet Samoa ein Licht der Hoffnung angezündet. Auf den ersten Blick schien der Entschluss der Regierung des Pazifikstaats, die Uhren schon zwei Tage vor Silvester um 24 Stunden vorzustellen und über die Datumsgrenze zu springen, zwar auch noch den letzten mentalen Haltegriff mit in den Abgrund zu reißen: den Kalender, das Kontinuum Zeit.

Mit unschönen Kollateralschäden: Ein kompletter Tag landete auf dem Müllhaufen der Geschichte. Und alle am Freitag, den 30. Dezember auf Samoa Geborenen wurden lebenslang ihres Geburtstags beraubt. Doch wann war je ein zeithistorischer Quantensprung poetischer besungen worden? "Wir springen durch die schwindenden Schatten der Nacht über die Zeit, um einen neuen Tag einzuläuten, Samstag, den 31. Dezember", hatte Regierungschef Tuilaepa Sailele Malielegaoi in der Hauptstadt Apia feierlich verkündet.

Zeittechnisch auf Augenhähe mit Australien

Bislang lag Samoa in der östlichen Hemisphäre der Welt, nun liegt es in der westlichen, zeittechnisch auf Augenhöhe mit Australien und Neuseeland, seinen lebenswichtigen Handelspartnern. Der Kalte Krieg hätte nie so lange gedauert, hätte man sich früher auf diese Art virtuelle Geschichtspolitik besonnen. Und gegen Samoas beherzten Schritt in eine bessere Zukunft wirkt Mao Zedongs "Großer Sprung" in China Ende der fünfziger Jahre wie ein autistischer Kinderstreich.

Was wie eine empörende Verunsicherung daherkommt, ist nur logisch. Vom kosmischen Standpunkt aus wirkte die Vorstellung immer absurd, das schaumartig quellende Netzwerk namens Zeit derart statisch über den Globus zu legen. Über dieses Dogma hat sich Samoa vorbildhaft hinweg gesetzt.

Doch auch wenn sich das schwächelnde Europa nun vermutlich nicht dazu wird aufraffen können, zur Zeitzone der Türkei aufzuschließen, der neuen Lokomotive der Weltwirtschaft. Die uns gerade mal eine schlappe Stunde voraus ist.

Auf dem Weg ins neue Jahr ist es im Grunde eine befreiende Erkenntnis, dass das scheinbar Feststehende auch nur eine kulturelle Absprache ist. Die man jederzeit ändern kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • R
    reblek

    "Ein kompletter Tag landete auf dem Müllhaufen der Geschichte. Und alle am Freitag, den 30. Dezember auf Samoa Geborenen wurden lebenslang ihres Geburtstags beraubt. Doch wann war je ein zeithistorischer Quantensprung poetischer besungen worden?" - Korrekt, "ein kompletter Tag" ist ausgefallen. Aber niemand wurde "lebenslang" seines Geburtstags beraubt, es ist lediglich der im Jahr 2011 ausgefallen. Und was den "Quantensprung" angeht, empfehle ich einen Blick in Wikipedia: Es gibt keinen kleineren Sprung als diesen. Möglicherweise ist die Silvesterfeier jemand nicht besonders gut bekommen.

  • D
    djz

    Sinnlos? Die Samoaner handeln nun mal mit ihren nahen Nachbarstaaten, da ist es schon sinnvoll, dass die Freitage und Montage nicht mit den Sonnabenden und -tagen des jeweils anderen kollidieren.

     

    Kapitalismus frönen? Soviel kann man mit Fischerei und Landwirtschaft nicht reißen, das Geld kommt eher von den in NZ und AUS arbeitenden Familienmitgliedern oder von dort stammenden Touristen.

     

    Ich verstehe nicht, was es da zu meckern gibt.

  • M
    Marvin @marxist

    Hat nicht Marokko gar das Wochenende verschoben, um näher an westlichen, "christlichen" Börsen zu sein?

  • T2
    Tom 23

    Was für ein sinnloses Unternehmen, das verwirrt doch nur die Leute und bringt nichts.

  • HK
    H. Klöcker

    ist das von euch ernst gemeint mit "der Sensation Zeitzone"...denn ist doch noch gar nicht der 1. April !?

     

    Eine wirkliche Sensation wäre wenn wir hier endlich ähnliche Sozialstandards hätten wie die Dänen, statt das sich Deutschland immer weiter teilt in Arm und Reich.

  • M
    Marxist

    Ich finde es sehr schade das Samoa die Zeitzone gewechselt. Nur um besser dem Kapitalismus zu frönen...