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■ Helmut Kohl zu Besuch in ChinaZahnlos

Staatsbesuche in China wie der jetzige Helmut Kohls produzieren bei den für die Menschenrechte engagierten Zeitgenossen das Gefühl, als Statisten eines immergleichen Rollenspiels zu fungieren. Amnesty international, das PEN-Zentrum, Freunde Chinas ermahnen die Bundesregierung, die Verletzung der Menschenrechte in der Volksrepublik zur Sprache zu bringen, und statten sie mit umfänglichen Materialien aus. Unsere Regierung bedankt sich höflich. Sie übermittelt den Gastgebern (möglichst vor dem Staatsbesuch) ein entsprechendes Dossier und läßt während der Gespräche ein paar mahnende Bemerkungen fallen. Die chinesische Seite repliziert mit dem Standardhinweis auf das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten. Danach atmen alle Beteiligten auf und wenden sich den eigentlichen Geschäften zu. Den Menschenrechtlern bleibt die stereotype Klage, daß wirtschaftliche Interessen allemal schwerer wiegen als das Schicksal eingekerkerter Demokraten.

Tatsache ist, daß die chinesische Partei- und Regierungsführung sich weit unempfindlicher gegenüber den Menschenrechtsinterventionen von westlicher Seite gezeigt hat als etwa die Sowjetunion oder die realsozialistischen Regime in Osteuropa vor 1989. Trotz Hongkong gab es auch nie einen vergleichbaren Einfluß kritisch orientierter Medien „von außen“. Ist also die Bundesregierung vor die Wahl gestellt, entweder ein echtes Junktim zwischen Wirtschaftsbeziehungen und Respektierung der Menschenrechte aufzustellen (was weder sie noch ihre westlichen Verbündeten je erwogen) oder sich mit ebenso zahmen wie folgenlosen Demarchen zufriedenzugeben?

Die deutsche wie die westliche Menschenrechtspolitik gegenüber China hatte stets die unerklärte Prämisse, daß der Weg der Volksrepublik in die Modernität sich nur unter autoritär-zentralistischer Führung vollziehen könne. Die Ideale der offenen, demokratischen Gesellschaft würden in China nur von einer verschwindenden Minderheit hochgehalten. Der Kommunismus Dengscher Prägung folge im Kern der – allgemein akzeptierten – konfuzianischen Tradition. Die aber sei mit der Idee individueller Freiheit, also auch mit den Menschenrechten, unvereinbar. Zeige nicht der neokonfuzianische Modellstaat Singapur, daß ökonomische Expansion und autoritäre Staatsverfassung sich bestens vertrügen? Und lehre das Schicksal Gorbatschows nicht sowieso, daß die ökonomische Reform der politischen vorausgehen müsse?

Daß Überlegungen dieser Art das Bild unserer Regierung über China bestimmen, wird durch die Weigerung Kohls bewiesen, sich mit den Vertretern der demokratischen Opposition innerhalb und außerhalb Chinas zusammenzusetzen. Denn allen Repressionsmaßnahmen zum Trotz ist diese Opposition „real existierend“, und man kann einige ihrer Aktivisten sogar, so man will, in Peking besuchen oder sie wenigstens diskret in die deutsche Botschaft einladen. Abweichungen dieser Art vom Protokoll werden den chinesischen Machthabern nicht gefallen, aber es ist keineswegs ausgemacht, daß sie zum Scheitern des Staatsbesuchs führen müssen. Gerade rechtzeitig zum Kohl- Besuch ist in Peking eine „Charta des Friedens“ gegründet worden, die den Führungsanspruch der Kommunisten nicht ankratzt, aber energisch die fünfte (die demokratische) Modernisierung einklagt. Aber das ruhige, demokratische Selbstbewußtsein, das ein Treffen mit dieser Gruppe voraussetzen würde, wird man bei einem Regierungspolitiker der BRD wohl vergebens suchen. Christian Semler

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