Heldengedenken: Als der Krieg nach Seedorf kam
Die Kirche spielt eine merkwürdige Doppelrolle im Afghanistan-Krieg. Sie will Seelsorge leisten, verschwindet aber hinter ihrer Nähe zur Bundeswehr.
Es wehen Flaggen auf Halbmast in Seedorf. Der kleine Ort zwischen Bremen und Stade gedenkt der drei Bundeswehrsoldaten, die am Karfreitag Opfer 37, 38 und 39 wurden. Sie waren stationiert in der Seedorfer Kaserne, sie starben in Afghanistan.
Die Toten sind keine Toten, derer nur ein Kreis von Angehörigen gedenkt, sie werden zu mehr gemacht und in den Dienst einer nationalen Aufgabe gestellt. Ob sie das wollten?
Mit ihnen in der Statistik scheint jene Schwelle überschritten, von der an man Krieg nennen darf, was zuvor "internationaler bewaffneter Konflikt" hieß. Bilder bleiben von den dreien; von der Deutschlandfahne bedeckte Särge, Entwicklungshilfeminister Niebel, der zufällig anwesend war, als die Leichen der Soldaten aus dem Bundeswehr-Camp in Afghanistan abgeholt wurden, und seine Ansprache an "die feigen Mörder" richtete, die die drei erschossen hatten.
Am Karfreitag waren bei Kämpfen nahe Kundus drei Bundeswehr-Soldaten ums Leben gekommen, fünf Soldaten wurden zum Teil schwer verletzt.
Wenige Stunden später töteten deutsche Soldaten irrtümlich fünf Soldaten der Afghan National Army, mit der die Nato-Truppen in Afghanistan zusammenarbeiten.
Die drei Bundeswehr-Soldaten waren im niedersächsischen Seedorf stationiert. Ihrer soll am Freitag in der Kaserne gedacht werden. An der Trauerfeier wird auch Verteidigungsminister zu Guttenberg teilnehmen.
Als die Bilder in den Nachrichtensendungen gezeigt wurden, war dort auf dem staubigen Platz für einen kurzen Moment auch ein Militärgeistlicher zu sehen. Er trug einen Tarnanzug in Wüstenoptik, über seine Schultern hatte er eine - ebenfalls sandfarben gehaltene - Stola gelegt. Merkwürdig sah das aus. Die Stola überm Kampfanzug, als wäre die Kirche mittendrin.
Und, ja, sie ist es, und spielt eine fragwürdige Doppelrolle. Auch das wird dieser Tage in Seedorf sicht- und hörbar. Da rief am Karsamstag der Superintendent des Kirchenkreises Bremervörde-Zeven, in dem Seedorf liegt, die Pastorinnen und Pastoren auf, "in den Ostergottesdiensten der getöteten und verletzten Soldaten und besonders auch deren Familien und Freunden zu gedenken"; gestern wurde in der Lamberti-Kirche von Selsingen, auf deren Gebiet die Seedorfer Kaserne liegt, ein Kondolenzbuch ausgelegt: "In unseren Gebeten bitten wir um Gottes Trost und Beistand für die betroffenen Familien und die Kameraden der Gefallenen."
Die Seelsorge, die die Kirchen für Hinterbliebene anbietet, ist wichtig; sie ist es nach tödlichen Verkehrsunfällen, sie ist es nach langem Siechtum, nach plötzlichen Todesfällen und nach dem Einsatz im Krieg. Aber was dort in Seedorf geschieht, vermischt Seelsorge mit Heldenverehrung, die nicht Sache der Kirche sein sollte. Sie gedenkt, aber vergisst die am selben Tag erschossenen afghanischen Soldaten, sie kategorisiert Tote - je nachdem, auf welcher Seite sie starben, und setzt Niebels Freund-Feind-Schema fort. So wie die sandfarbene Stola überm Kampfanzug kaum auffiel, verschwindet die Kirche hier. Dabei wäre es an ihr, die Opfer gleich zu behandeln und dem Krieg die oft gehörte Friedensbotschaft entgegenzusetzen. Seelsorge wäre dann trotzdem möglich, vielleicht sogar viel glaubwürdiger.
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